BGH, Urteil v. 26.03.2015, VII ZR 347/12
Leitsatz:
Ein zur Unanwendbarkeit des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB führender triftiger Grund liegt jedenfalls nicht vor, wenn der Gläubiger nach einer Bezifferung seiner Schadensersatzansprüche im Mahnverfahren zur Reduzierung seines Prozessrisikos diese Ansprüche im Streitverfahren nicht in voller Höhe geltend macht, um das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens abzuwarten. (amtlicher Leitsatz)
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz wegen Mängeln der Bauleistung nach Kündigung des zwischen den Parteien am 24. Juni 2003 geschlossenen Bauvertrages über die Errichtung eines Bürogebäudes. Soweit für die Revision noch von Interesse, begehrt sie einen Betrag von 19.000 € für die fehlerhafte Holzunterkonstruktion des vom Beklagten neu zu errichtenden Obergeschosses.
Nachdem es im Juli 2004 zum wiederholten Male zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien gekommen war, erklärte der Beklagte im August 2004 die fristlose Kündigung des Vertrages. Mit Anwaltsschreiben vom 23. Dezember 2004 nahm die Klägerin den Beklagten auf Erstattung einer Überzahlung in Anspruch.
Wegen der von ihr behaupteten Mängel der Bauleistung hat die Klägerin zunächst einen Mahnbescheid über einen Betrag von 97.803,09 € beantragt. Der Mahnbescheidsantrag ist am 27. Dezember 2007 bei Gericht eingegangen. Mit Anspruchsbegründung vom 29. Januar 2009 hat die Klägerin Forderungen in Höhe von 42.787,13 €, darunter 8.000 € als "mindestens" erforderliche Kosten für die Beseitigung der Mängel der Holzunterkonstruktion, in das streitige Verfahren übergeleitet. Nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens hat die Klägerin ihre Klage mit am 1. Juni 2011 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz auf 64.367,13 €, davon 19.000 € für die Mangelbeseitigung der Holzunterkonstruktion, erweitert. Der Beklagte erhebt insoweit die Einrede der Verjährung.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 61.367,13 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht den von dem Beklagten zu zahlenden Betrag auf 45.528,03 € nebst Zinsen, darunter 19.000 € für die mangelhafte Holzunterkonstruktion, reduziert.
Der Senat hat die Revision zugunsten des Beklagten insoweit beschränkt zugelassen, als das Berufungsgericht ihn über einen Betrag von 8.000 € nebst Zinsen hinaus zur Zahlung weiterer 11.000 € nebst Zinsen für die mangelhafte Holzunterkonstruktion verurteilt hat. In diesem Umfang erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat im Umfang ihrer Zulassung Erfolg.
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, hinsichtlich der Ansprüche der Klägerin wegen der mangelhaften Holzunterkonstruktion in Höhe von 19.000 € sei keine Verjährung eingetreten, auch wenn mit der Klagebegründung vom 29. Januar 2009 insoweit lediglich ein Betrag von 8.000 € geltend gemacht und die Klage erst am 1. Juni 2011 auf 19.000 € erweitert worden sei.
Zwar sei die Klageerweiterung nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt. Diese betrage gemäß § 634a Abs. 1 BGB fünf Jahre und habe mit dem Schreiben der Klägerin vom 23. Dezember 2004 zu laufen begonnen. Mit diesem Schreiben, mit dem die Rückzahlung der Überzahlungen begehrt und wegen der Mängel Schadensersatzansprüche vorbehalten worden seien, werde seitens der Klägerin dokumentiert, dass sie vom Beklagten keine Leistungen mehr verlange. Eine Abnahme sei aber dann entbehrlich, wenn der Besteller nicht mehr Erfüllung des Vertrages, sondern Schadensersatz verlange und damit nur noch ein Abrechnungsverhältnis bestehe. Der weitere Ablauf der Verjährungsfrist sei durch den Mahnbescheidsantrag vom 27. Dezember 2007 gehemmt worden. Nachdem das Verfahren in der Zeit nach dem 29. Juli 2008 nicht betrieben worden sei, hätte gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die Verjährungshemmung am 29. Januar 2009 für den Teil des mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Anspruchs, der von der Anspruchsbegründung vom 29. Januar 2009 nicht erfasst gewesen sei, geendet. Für diesen Teil seien zwischen dem Ende der Hemmung und dem Eingang der Klageerweiterung am 1. Juni 2011 mehr als zwei weitere Jahre vergangen mit der Folge, dass die mit der Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich verjährt seien.
Hinsichtlich der mit der Klageerweiterung geltend gemachten weiteren 11.000 € für die mangelhafte Holzunterkonstruktion habe die Verjährungshemmung jedoch entgegen § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB angedauert. Diese Vorschrift sei nicht anzuwenden, wenn für das Untätigbleiben des Berechtigten ein triftiger und für den Prozessgegner erkennbarer Grund bestanden habe, der auch prozesswirtschaftlicher Art sein könne. Für die Klägerin habe ein solcher Grund darin bestanden, dass sie für die Bezifferung ihres gesamten Anspruchs hinsichtlich der mangelhaften Holzunterkonstruktion noch das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens habe abwarten wollen und daher "aus Vorsicht" zunächst nur einen Mindestschaden von 8.000 € eingeklagt habe.
II. Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts ist ein etwaiger Anspruch der Klägerin auf Zahlung des erst mit der Klageerweiterung geltend gemachten weiteren Betrages von 11.000 € für die mangelhafte Holzunterkonstruktion verjährt.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht noch davon ausgegangen, dass die am 1. Juni 2011 bei Gericht eingegangene Klageerweiterung außerhalb der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgte. Diese Frist begann mit dem Schreiben der Bevollmächtigten der Klägerin vom 23. Dezember 2004 zu laufen, mit dem der Übergang in das Abrechnungsverhältnis bewirkt wurde (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 2006 - VII ZR 146/04, BGHZ 167, 345 Rn. 20 ff.). Die Verjährung wurde sodann durch die Einleitung des Mahnverfahrens am 27. Dezember 2007 gehemmt. Ebenfalls noch zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass infolge des Nichtbetreibens des Verfahrens in der Zeit nach dem 29. Juli 2008 gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB die Verjährungshemmung am 29. Januar 2009 für den nicht von der Anspruchsbegründung vom 29. Januar 2009 umfassten Teil des mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Anspruchs hätte enden müssen, so dass die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB bereits vor Eingang der Klageerweiterung am 1. Juni 2011 abgelaufen wäre.
2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, dass § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB hinsichtlich des mit der Klageerweiterung geltend gemachten weiteren Betrages von 11.000 € für die mangelhafte Holzunterkonstruktion keine Anwendung finde.
a) Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB unanwendbar sein, wenn für das Untätigbleiben des Gläubigers ein triftiger Grund vorliegt. Triftige Gründe sind danach etwa das Abwarten des Ausgangs eines einschlägigen Strafverfahrens, das Zuwarten im Deckungsprozess auf den Ausgang des Haftungsprozesses oder das Ruhen des Verfahrens zur Beschaffung von Beweisen (Beispiele bei Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl., § 204 Rn. 47). Hierbei kommt es weder auf eine Absicht der Parteien an, die verjährungsrechtlichen Regelungen zu umgehen, noch auf bloße Motive, mögen diese auch als vernünftig erscheinen. Maßgeblich sind die nach außen erkennbaren Umstände des Prozessstillstands, aus denen der erforderliche triftige Grund für die Untätigkeit der betreffenden Partei hervorgehen muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 32/08, NJW 2009, 1598 Rn. 27; Urteil vom 18. Oktober 2000 - XII ZR 85/98, NJW 2001, 218, 219; BGH, Urteil vom 27. Januar 1999 - XII ZR 113/97, NJW 1999, 1101, 1102; Urteil vom 24. Januar 1989 - XI ZR 75/88, BGHZ 106, 295, 299 ). Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob und inwieweit an dieser zu § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. entwickelten Rechtsprechung angesichts der Neuregelung des Verjährungsrechts im Schuldrechtsmodernisierungsgesetz uneingeschränkt festzuhalten ist, denn ein solcher triftiger Grund liegt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht vor.
b) Er ist nicht darin zu sehen, dass die Klägerin für die Bezifferung ihres gesamten Anspruchs hinsichtlich der mangelhaften Holzunterkonstruktion noch das Ergebnis eines Sachverständigengutachtens abwarten wollte und daher "aus Vorsicht" zunächst nur einen Mindestschaden von 8.000 € eingeklagt hat.
Diese Auffassung des Berufungsgerichts steht auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen, unter denen eine Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB endet, nicht in Einklang.
Danach ist ein zur Unanwendbarkeit des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB führender triftiger Grund für das Nichtbetreiben des Verfahrens etwa dann nicht gegeben, wenn eine Partei, ohne dass besondere Umstände vorliegen, lediglich wegen außergerichtlicher Verhandlungen der Parteien das Verfahren nicht weiter betreibt (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009 - II ZR 32/08, NJW 2009, 1598 Rn. 28; Urteil vom 18. Oktober 2000 - XII ZR 85/98, NJW 2001, 218, 219; Urteil vom 27. Januar 1999 - XII ZR 113/97, NJW 1999, 1101, 1102). Ein triftiger Grund für das Nichtbetreiben des Verfahrens liegt auch dann nicht vor, wenn eine Partei lediglich aus prozesswirtschaftlichen Erwägungen den Ausgang eines Musterprozesses abwartet (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2000 - XII ZR 85/98, NJW 2001, 218, 219; Urteil vom 23. April 1998 - III ZR 7/97, NJW 1998, 2274, 2276; Urteil vom 21. Februar 1983 - VIII ZR 4/82, NJW 1983, 2496, 2497).
Hier gilt nichts anderes. Ebenso wie in den Fällen, in denen die Parteien den Ausgang eines Musterprozesses abwarten wollen, bevor sie das Verfahren weiter betreiben, dient auch in der vorliegenden Fallgestaltung, bei der die Klägerin nach Bezifferung ihrer Ansprüche im Mahnverfahren auf eine volle Bezifferung dieser Ansprüche im Streitverfahren zunächst verzichtet, das Nichtbetreiben des Verfahrens ausschließlich der Reduzierung des Prozessrisikos der Partei. Das rechtfertigt es nicht, dass trotz Nichtbetreibens des Verfahrens hinsichtlich der noch nicht geltend gemachten Ansprüche die Hemmung der Verjährung aufrecht erhalten bleibt, und zwar auch dann nicht, wenn wie hier noch ein Sachverständigengutachten zur Mängelfrage eingeholt wird. Kann der Kläger seinen Anspruch noch nicht abschließend beziffern, so ist es ihm regelmäßig möglich und zuzumuten, eine Feststellungsklage zu erheben oder eine Leistungsklage mit einer Feststellungsklage zu verbinden.
Für den Beklagten wäre entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts der vermeintliche triftige Grund auch nicht erkennbar gewesen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 6. Mai 2009 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den über den Zahlungsantrag aus der Antragsbegründungsschrift vom 29. Januar 2009 in Höhe von 42.787,13 € hinausgehenden Zahlungsantrag aus dem Mahnbescheid nicht weiter verfolge. Die Klägerin teilt hier mit, in Höhe des Differenzbetrages sei eine Klagerücknahme nicht angezeigt, weil "Gegenstand des streitigen Verfahrens" entsprechend ihrem Streitantrag nur der Betrag von 42.787,13 € sei; sollte jedoch das Gericht der Auffassung sein, dass die volle Summe des Mahnbescheidsantrages in das Streitverfahren übergegangen sei, werde "hiermit der Antrag auf Durchführung des Streitverfahrens hinsichtlich des Betrages von EUR 55.015,96 zurückgenommen".
III. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, soweit der Beklagte über den Betrag von 8.000 € nebst Zinsen hinaus zur Zahlung weiterer 11.000 € nebst Zinsen für die mangelhafte Holzunterkonstruktion verurteilt worden ist. Insoweit ist die Klage abzuweisen, § 563 Abs. 3 ZPO.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.