(Beitrag zum Urteil des BGH vom 26.05.2021, IV ZR 174/20)
Der Kläger ist ein (adoptierter) Abkömmling der im Jahr 2017 verstorbenen Erblasserin. Diese war ledig und hatte keine leiblichen Kinder. Testamentarisch hatte die Erblasserin Testamentsvollstreckung angeordnet und insgesamt acht Personen zu Miterben (mit Quoten von 5% oder 10%) eingesetzt. Die verbleibenden 45 % des zu Geld gemachten Nachlasses sollten für Beerdigung und Grabpflegekosten verwendet werden.
Damit blieb der tatsächliche Erbteil des Klägers erheblich hinter seinem rechnerischen Pflichtteil von 50 % des Nachlasses zurück. Der Kläger verklagte fünf der Miterben und die Testamentsvollstreckerin im Wege des sog. Zusatzpflichtteils auf die rechnerische Differenz zu seinem Pflichtteilsanspruch. Die Vorinstanz hatte die Klage abgewiesen und war der Auffassung, dass die Grabpflegekosten Nachlassverbindlichkeiten seien und damit den Reinnachlass vorliegend um 9.506, - € mindern würden. Damit sei der Erbteil des Klägers mindestens so hoch wie sein rechnerischer Pflichtteilsanspruch, sodass er keine weitere Zahlung verlangen könne.
Der Bundesgerichtshof folgt dieser Auffassung nicht und hat sich zunächst mit dem Problem auseinanderzusetzen, dass der Kläger nicht sämtliche Miterben verklagt hat. Da der Nachlass noch nicht auseinandergesetzt war, durfte der Kläger wählen zwischen einer Inanspruchnahme der Miterben als Gesamtschuldner oder als Gesamthänder. Hätte der Kläger die sog. Gesamthandsklage erhoben, hätte er allen Miterben verklagen müssen. Bei der vorliegend erhobenen Gesamtschuldklage konnte sich der Kläger letztlich die verklagten Miterben aussuchen.
Aufgrund der angeordneten Testamentsvollstreckung war es sinnvoll, die Klage gegen (einige der) Miterben und die Testamentsvollstreckerin zu erheben. Will ein Nachlassgläubiger in den von der Testamentsvollstreckerin verwalteten Nachlass vollstrecken, so bedarf es eines sog. Duldungsurteils gegen die Testamentsvollstreckerin. Diese Besonderheit ist zu beachten, obwohl Pflichtteilsansprüche ausschließlich gegen Erben geltend zu machen sind (§ 2213 Abs. 1 S. 3 BGB).
Der Bundesgerichtshof stellt klar, dass dem Kläger ein Zusatzpflichtteil i.H.v. 3.209, - € zusteht. Die Berechnung der Pflichtteilsansprüche des Klägers hat auf der Grundlage eines Aktivnachlasses zu erfolgen, von dem Grabpflegekosten nicht als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen sind. Die Anordnung, einen bestimmten Betrag aus dem Nachlass für Grabpflege auszugeben, stellt im Verhältnis der Erben untereinander zwar eine Auflage und somit eine Nachlassverbindlichkeit dar. Diese Auflage berechtige aber nicht zu einer Kürzung des Anspruchs des Klägers auf den Zusatzpflichtteil. Denn der Pflichtteilsanspruch ist vorrangig vor Auflagen zu erfüllen (s. § 327 Abs. 1 InsO).
Nachdem die Testamentsvollstreckerin dem Kläger lediglich 809, - € überwiesen hatte, war wie folgt zu rechnen: Der Aktivnachlass lag bei 16.103, - €. Unstreitige Nachlassverbindlichkeiten bestanden i.H.v. 6.338, - €; die Grabpflegekosten waren mit 9.506, - € anzunehmen. Damit lag der Reinnachlass bei 259, - €. Multipliziert mit der Erbquote des Klägers (9,09%) ergab sich ein Erbteil von (aufgerundet) 24, - €.
Zur Ermittlung des Zusatzpflichtteils war der Aktivnachlass aber lediglich um die unstreitigen Nachlassverbindlichkeiten zu kürzen. Der sich dann ergebende Betrag i.H.v. 9.765, - € war mit der Pflichtteilsquote von ½ zu multiplizieren, sodass sich eine Grundlage für den Zusatzpflichtteil i.H.v. 4.882, - € ergab. Von diesem Betrag war der rechnerische Erbteil unter Außerachtlassen der Grabpflegekosten, also i.H.v. 888, - € (9,09% von 9.765, - €) in Abzug zu bringen. Somit ergab sich ein Restanspruch i.H.v. 3.994, - €. Hinzuzurechnen war der Erbteil des Klägers unter Ansatz der Grabpflegekosten i.H.v. 24, - €, abzuziehen war der durch die Testamentsvollstreckerin bereits geleistete Betrag i.H.v. 809, - €, so dass der Kläger weitere 3.209, - € aus dem Nachlass beanspruchen konnte.