Hinweispflicht des Berufungsgerichts auf unzulässige Klage

BGH, Beschluss vom 10.03.2016 – VII ZR 47/13
Leitsatz:
a) Erachtet das Berufungsgericht eine Feststellungsklage entgegen der Auffassung des Erstgerichts für unzulässig, so muss es den Kläger gemäß § 139 Abs. 3 ZPO hierauf hinweisen. Darüber hinaus muss das Berufungsgericht dem Kläger jedenfalls dann Gelegenheit geben, auf einen solchen Hinweis in der Berufungsinstanz durch eine Antragsmodifizierung zu reagieren, wenn der vom Berufungsgericht erteilte Hinweis deshalb geboten war, weil das Erstgericht einen gegenteiligen Hinweis erteilt und dadurch die erstinstanzliche Antragstellung veranlasst hatte (Anschluss an BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06 , NJW-RR 2010, 70).


b) Stellt der Kläger auf einen solchen Hinweis des Berufungsgerichts als Hilfsantrag einen Zahlungsantrag, ist es dem Berufungsgericht verwehrt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und dadurch diese - als Reaktion auf den Hinweis des Berufungsgerichts erfolgte - Klageerweiterung für wirkungslos zu erachten, § 524 Abs. 4 ZPO analog (Abgrenzung zu BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2015 - IV ZR 366/14 ; vom 6. November 2014 - IX ZR 204/13 , NJW 2015, 251; vom 3. Juni 2014 - VI ZR 71/13). (amtlicher Leitsatz)

Entscheidung:
Mit Bauvertrag von August 2007 verpflichtete sich die Klägerin zur Durchführung von Erdarbeiten im Rahmen der Herstellung eines Tunnels. Die Parteien streiten der Sache nach darüber, ob die Klägerin für Unterbodenarbeiten eine zusätzliche Vergütung verlangen kann oder ob die Unterbodenarbeiten von dem Leistungsverzeichnis der Ausschreibung und damit vom Bauvertrag erfasst sind.

Die Klägerin hat ursprünglich Zahlung von 411.783,33 € nebst Zinsen begehrt. Nach einem Hinweis des Landgerichts hat die Klägerin den Zahlungsantrag auf Feststellung darauf umgestellt, dass für die erbrachten Unterbodenarbeiten eine zusätzliche Vergütung dem Grunde nach geschuldet wird. Diesen Antrag hat das Landgericht dann aber als unbegründet abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Mit Beschluss vom 21. August 2012 hat das Berufungsgericht die Klägerin darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, insbesondere habe die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Der vor dem Landgericht zuletzt gestellte Feststellungantrag sei unzulässig, da die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO nicht gegeben seien. Daraufhin hat die Klägerin ihren Feststellungsantrag als Hauptantrag aufrechterhalten, hilfsweise einen modifizierten Feststellungsantrag gestellt und hilfsweise beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 223.513,- € nebst Zinsen zu verurteilen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat teilweise Erfolg.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhe auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, soweit das Berufungsgericht den hilfsweise gestellten Zahlungsantrag der Klägerin für wirkungslos erachtet habe. Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, dass der Hauptfeststellungsantrag unzulässig sei, da er eine bloße Vorfrage und kein Rechtsverhältnis zum Gegenstand habe. Das potentielle Rechtsverhältnis sei die Frage, ob ein der Höhe nach bestimmter Vergütungsanspruch aus einem Vertrag folge. Nur der Saldo könne eingeklagt werden. Zudem sei die Leistungsklage vorrangig, da die Klägerin, wie sich aus dem hilfsweise gestellten Antrag ergebe, den Saldo beziffern könne.

Bleiben Anträge einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter sie in offenkundig fehlerhafter Anwendung des Prozessrechts zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör ( Art. 103 Abs. 1 GG ) der Partei verletzt (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487, [BVerfG 22.11.2004 - 1 BvR 1935/03] [...] Rn. 11; BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 28/13). Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06, NJW-RR 2010, 70 Rn. 5; BVerfGE 84, 188, 190 [BVerfG 29.05.1991 - 1 BvR 1383/90] , [...] Rn. 7). Hinsichtlich von Amts wegen zu berücksichtigender Punkte sieht § 139 Abs. 3 ZPO ausdrücklich eine Hinweispflicht vor, die auch für das Berufungsgericht gilt, § 525 Satz 1 ZPO. Erachtet das Berufungsgericht die Klage entgegen der Auffassung des Erstgerichts für unzulässig, so muss es den Kläger hierauf hinweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 - IV ZR 188/12, Rn. 11 m.w.N.). Darüber hinaus muss das Berufungsgericht dem Kläger jedenfalls dann Gelegenheit geben, auf einen solchen Hinweis in der Berufungsinstanz durch eine Antragsmodifizierung zu reagieren (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06, NJW-RR 2010, 70 Rn. 5), wenn der vom Berufungsgericht erteilte Hinweis deshalb geboten war, weil das Erstgericht einen gegenteiligen Hinweis erteilt und dadurch die erstinstanzliche Antragstellung veranlasst hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06 , NJW-RR 2010, 70 Rn. 5).

Bei einer solchen Verfahrenskonstellation ist es dem Berufungsgericht ausnahmsweise verwehrt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und dadurch eine - als Reaktion auf den Hinweis des Berufungsgerichts erfolgte - Klageerweiterung für wirkungslos zu erachten (vgl. zur grundsätzlich entsprechenden Anwendbarkeit von § 524 Abs. 4 ZPO auf Klageerweiterungen bei Zurückweisungsbeschlüssen gemäß § 522 Abs. 2 ZPO : BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2015 - IV ZR 366/14 ; vom 6. November 2014 - IX ZR 204/13 , NJW 2015, 251 Rn. 2; vom 3. Juni 2014 - VI ZR 71/13, Rn. 1; Urteil vom 24. Oktober 2013 - III ZR 403/12 , BGHZ 198, 315 Rn. 19 , zur Widerklage).

Nach diesen Maßstäben habe das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt, indem es den hilfsweise geltend gemachten Zahlungsantrag nicht berücksichtigt habe. Der Umstand, dass die Klägerin den Zahlungsantrag als Hilfsantrag geltend gemacht hat, ändert angesichts der Verfahrenskonstellation im Streitfall an dem Gebot, diesen Antrag zu berücksichtigen, nichts. Denn es stellt eine sachgerechte üblicher Praxis entsprechende Reaktion auf einen gerichtlichen Hinweis dar, dass ein Antrag, mit dem diesem Rechnung getragen wird, nur hilfsweise geltend gemacht wird.