Unrichtige Angaben im PKH-Bewilligungsverfahren

BGH, Beschluss v. 19.08.2015, XII ZB 208/15
Leitsatz:
1. Die Regelung des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO , wonach das Gericht die Bewilligung der Prozesskosten- bzw. Verfahrenskostenhilfe aufheben soll, wenn der Antragsteller absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, ist im Bewilligungsverfahren der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe nicht analog anzuwenden. (amtlicher Leitsatz)

Gründe:
I. Die Antragstellerin beantragte im Dezember 2013 Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Scheidungsverfahren. Das Familiengericht lehnte den Antrag ab, weil die Antragstellerin keine Belege beigefügt und diese auch nicht innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist nachgereicht hatte. Das Beschwerdegericht wies die dagegen eingelegte Beschwerde zurück, weil die Antragstellerin mit den in der Beschwerdeinstanz nachgereichten Unterlagen ein Vorsorge-Sparkonto nicht angegeben hatte, auf das sie regelmäßige Sparraten von monatlich 50 € einzahlte.

Im August 2014 hat die Antragstellerin erneut Verfahrenskostenhilfe beantragt und hierbei wiederum das Vorsorge-Sparkonto nicht in der Formularerklärung angegeben, jedoch einen Kontoauszug beigefügt, aus dem sich zum 20. Dezember 2013 ein Kontostand von 350,63 € ergab. Das Familiengericht hat auch diesen Antrag abgelehnt, das Beschwerdegericht die dagegen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und es um Fragen des Verfahrens der Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe geht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Dezember 2010 - XII ZB 38/09 -FamRZ 2011, 463 Rn. 8mwN und vom 18. Juli 2007 - XII ZA 11/07 -FamRZ 2007, 1720, 1721 mwN). Sie ist auch im Übrigen zulässig.

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

a) Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Dem erneut gestellten Verfahrenskostenhilfeantrag stehe zwar nicht die unanfechtbare Entscheidung über das erste Gesuch der Antragstellerin entgegen, da diese Entscheidung nicht in materielle Rechtskraft erwachse. Die Antragstellerin habe das Recht auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe jedoch verwirkt.

Dadurch, dass sie auch im jetzigen Verfahren nicht das Vorsorge-Sparkonto angegeben habe, liege zumindest grob nachlässiges Verhalten im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vor. Nachdem der Antragstellerin bereits einmal Verfahrenskostenhilfe wegen desselben Umstandes verweigert worden sei, habe ihr bekannt sein müssen, dass es auch auf dieses Vermögen angekommen und bei der Abfassung der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse insoweit besondere Sorgfalt zu beachten gewesen sei. Dabei spiele es keine Rolle, dass ein Kontoauszug des Sparkontos beigefügt gewesen sei und man die monatlichen Abbuchungen der Sparraten auch aus den Kontoauszügen des Girokontos habe ersehen können. Denn ihre in der Erklärung abgegebene Versicherung, dass diese vollständig und wahr sei, sei mangels Angabe des Sparkontos falsch gewesen. Das rechtfertige eine Versagung der Verfahrenskostenhilfe in analoger Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO bereits im Bewilligungsverfahren. Insoweit bestehe eine Regelungslücke, weil sich nicht begründen lasse, weshalb diese Sanktionsvorschrift nur eine nachträgliche Aufhebung der Bewilligung rechtfertigen solle, nicht aber eine Versagung der Verfahrenskostenhilfe im laufenden Bewilligungsverfahren. Bereits im Bewilligungsverfahren sei das Gericht auf die zuverlässigen und ehrlichen Angaben des Antragstellers angewiesen, so dass auch in diesem Zusammenhang der Sanktionszweck eingreife.

Der Versagungstatbestand sei auch dann verwirkt, wenn keine Täuschungsabsicht, sondern nur wiederholte grobe Fahrlässigkeit vorliege, und unabhängig davon, ob die Falschangabe zu einer unzutreffenden Bewilligung führe. Es genüge, dass die falsche Angabe generell geeignet erscheine, die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe zu beeinflussen. Die Versagung der Verfahrenskostenhilfe stelle dann den Regelfall dar, von dem hier schon wegen des wiederholten Verstoßes gegen die Wahrheitspflicht nicht abzuweichen sei.

b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

aa) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass die Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung der Zulässigkeit eines neuen Verfahrenskostenhilfegesuchs nicht entgegensteht. Denn ein die Verfahrenskostenhilfe versagender Beschluss erlangt zwar formelle, aber keine materielle Rechtskraft (BGH Beschluss vom 3. März 2004 - IV ZB 43/03 -FamRZ 2004, 940und Senatsbeschluss vom 10. März 2005 - XII ZB 19/04 -FamRZ 2005, 788).

bb) Zwar kann es ausnahmsweise an einem Rechtschutzbedürfnis für die erneute Antragstellung fehlen, wenn auf der Grundlage desselben Lebenssachverhalts ein vorheriger Antrag gleichen Inhalts bereits zurückgewiesen worden ist und ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wegen Fristablaufs nicht mehr eingelegt werden kann oder die eingelegten Rechtsbehelfe keinen Erfolg hatten (BGH Beschluss vom 3. März 2004 - IV ZB 43/03 - NJW 2004, 1805 Rn. 16; OLG Celle MDR 2011, 563 [OLG Celle 31.01.2011 - 10 WF 17/11]; OLGR Saarbrücken 2000, 246; OLG Frankfurt MDR 2007, 1286 [OLG Celle 18.06.2007 - 14 U 202/06]; OLG BambergFamRZ 1997, 756; OLG Köln OLGZ 1989, 67; OVG BremenJurBüro 1991, 846; Zöller/Philippi ZPO 30. Aufl. § 117 Rn. 6; Musielak/Fischer ZPO 11. Aufl. § 127 Rn. 6; MünchKommZPO/Motzer 4. Aufl. § 117 Rn. 4).

Hier ist der zweite Antrag jedoch schon nicht identisch mit dem ersten Antrag. Abgesehen von geringfügig veränderten Einkommensverhältnissen unterscheidet sich der zweite Antrag vom ersten vor allem insoweit, als zumindest Kontoauszüge des im Erklärungsvordruck nicht angegebenen Kontos beigefügt waren. Damit ist ein Rechtschutzbedürfnis auch für den erneuten Antrag gegeben.

cc) In der Sache ist das Beschwerdegericht unzutreffend von einer Verwirkung des Anspruchs auf Verfahrenskostenhilfe auf Grundlage einer analogen Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ausgegangen. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht die Bewilligung der Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe aufheben, wenn der Antragsteller absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach § 120 a Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht oder ungenügend abgegeben hat.

Umstritten ist in Rechtsprechung und Literatur, ob § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, der seinem Regelungsinhalt nach nur die nachträgliche Aufhebung einer Bewilligung wegen falscher Angaben ermöglicht, analog bereits im Bewilligungsverfahren anzuwenden ist und auch hier bei mindestens grob nachlässig unrichtigen Angaben zur Versagung führt.

(1) Das Beschwerdegericht hat die analoge Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO mit einem Erst-Recht-Schluss begründet: Wenn falsche Angaben sogar die nachträgliche Aufhebung der Bewilligung rechtfertigten, müsse erst recht die Möglichkeit bestehen, Verfahrenskostenhilfe aus demselben Grund bereits im Bewilligungsverfahren zu versagen (ebenso OLG Hamm FamRZ 2015, 1419; OLG Bamberg FamRZ 2014, 589, 590 f.; LAG Hamm Beschlüsse vom 30. Januar 2002 - 4 Ta 148/01 - [...] und vom 18. März 2003 - 4 Ta 446/02 - [...]; Musielak/Fischer ZPO 12. Aufl. § 118 Rn. 10).

(2) Demgegenüber weist eine Gegenauffassung darauf hin (OLG Karlsruhe FamRZ 2015, 353; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. Februar 2007 - 10 WF 41/07 - [...]), dass im laufenden Bewilligungsverfahren ein differenziertes Instrumentarium zur Verfügung steht, um den Antragsteller zu der erforderlichen Mitwirkung anzuhalten, nämlich insbesondere das Verlangen der Glaubhaftmachung einschließlich eidesstattlicher Versicherung, die Anordnung der Vorlegung von Urkunden und das Einholen von Auskünften (§ 118 Abs. 2 ZPO). Aufgrund dessen fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke; als formalen Ablehnungsgrund kenne das Gesetz bewusst nur die fehlende Glaubhaftmachung oder Nichtbeantwortung bestimmter Fragen innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

(3) Der Senat hält die zuletzt genannte Auffassung für zutreffend.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Vorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO vor allem Sanktionscharakter. Daher kann das Gericht die Verfahrenskostenhilfebewilligung bei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten falschen Angaben des Antragstellers auch dann aufheben, wenn die Bewilligung nicht auf diesen Angaben beruht, sofern die falschen Angaben jedenfalls generell geeignet erscheinen, die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe zu beeinflussen (vgl. BGH Beschluss vom 10. Oktober 2012 - IV ZB 16/12 -FamRZ 2013, 124 Rn. 21). Wird eine bewilligte Verfahrenskostenhilfe in Anwendung dieser Vorschrift widerrufen, wirkt sich der Sanktionscharakter dahin aus, dass die staatliche Leistung nachträglich entzogen wird und der Antragsteller zur Erstattung der Kosten und Auslagen herangezogen werden kann.

Würde man den Rechtsgedanken des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO hingegen bereits im Bewilligungsverfahren anwenden und Verfahrenskostenhilfe wegen falscher Angaben versagen, ergäbe sich eine deutlich weiter reichende Folge, nämlich dass das beabsichtigte Verfahren - wie hier das Scheidungsverfahren überhaupt nicht geführt werden kann, letztendlich also der Zugang zum Rechtsschutz insgesamt versagt bleibt.

Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), später auch unter ausdrücklicher Berufung auf den Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG), die Forderung nach einer "weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes" abgeleitet. Danach darf Unbemittelten die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Der Unbemittelte muss grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Bemittelter (BVerfGE 122, 39 =FamRZ 2008, 2179 Rn. 30 ff.mwN).

Die Versagung des Zugangs zum Rechtsschutz kann deswegen jedenfalls nicht im Wege der Analogie zu einer Vorschrift hergeleitet werden, die nicht das Ziel der Versagung des Rechtsschutzes verfolgt, sondern den Rechtsgrund für das Behaltendürfen einer bereits bewilligten (Sozial-)Leistung beseitigt.

Daher kommt eine analoge Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO im Bewilligungsverfahren nicht in Betracht. Die Versagungsgründe wegen unzureichender Mitwirkung im Bewilligungsverfahren sind insoweit durch § 118 Abs. 2 ZPO abschließend geregelt.

c) Da die Sache nach ergänzenden Auskünften der Antragstellerin zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat die beantragte Verfahrenskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligen (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).