Freigabe der selbständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse und Pfändungsschutz für die Erlöse daraus

(Beitrag zum Beschluss des BGH v. 25.01.2018, IX ZA 19/17)

Manchmal hat der Bundesgerichtshof Selbstverständlichkeiten zu entscheiden, die sich ohne weiteres aus der einfachen Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften ergeben. Ein solcher Fall kann dann aber genutzt werden, um Grundsätzliches auszuführen.

In Insolvenzverfahren über das Vermögen selbstständig tätiger Schuldner kann der Insolvenzverwalter (auf Anregung des Schuldners) erklären, dass Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört. Eine solche Freigabe kann auch rückwirkend auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung erklärt werden.

Mit der Freigabeerklärung verzichtet der Verwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Vermögens/der Erlöse aus der selbstständigen Tätigkeit. Infolge der Freigabe fällt darum der Neuerwerb/die Erlöse des Schuldners aus der selbständigen Tätigkeit nicht mehr in die Masse. Im vorliegenden Fall erwartete der Schuldner (ein selbstständiger Arzt) Leistungen der kassenärztlichen Vereinigung für Zeiträume, die vor der Insolvenzeröffnung lagen. Da diese Ansprüche niemals massebefangen waren, konnte der Schuldner bei dem zuständigen Insolvenzgericht (als Vollstreckungsgericht) denklogisch keine weitere Freigabe erlangen. Durch die auf den Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung rückbezogene Freigabe des Insolvenzverwalters waren sämtliche Honorarforderungen des Schuldners gegen die kassenärztliche Vereinigung von der Freigabeerklärung umfasst.

Mit der Rrreigaberegelung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO hat der Gesetzgeber dem Interesse des Schuldners Rechnung getragen, sich durch eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz zu schaffen. Zu diesem Zweck sollte dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werden, außerhalb des Insolvenzverfahrens einer selbstständigen Tätigkeit nachzugehen. Es handelt sich um eine Art Freigabe des Vermögens, welches der selbstständigen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse. Das gesetzliche Regelungsmodell geht dahin, einerseits die aus der fortgesetzten selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkünfte des Schuldners den Neugläubigern, die nach Verfahrenseröffnung mit dem Schuldner kontrahiert haben, als selbstständige Haftungsmasse zur Verfügung zu stellen und andererseits die Masse des bereits eröffneten Verfahrens von Verbindlichkeiten des Schuldners aus seiner weiteren selbstständigen Tätigkeit freizustellen. Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbstständigen Tätigkeit und leitet die der selbstständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über. Die Neugläubiger, die nach der Freigabeerklärung Forderungen gegen den Schuldner erworben haben, können auf die ab diesem Zeitpunkt durch die selbstständige Tätigkeit erwirtschafteten Vermögenswerte des Schuldners als eigenständige Haftungsmasse zugreifen. Den Altgläubigern ist hingegen gem. § 89 InsO eine Vollstreckung in diese Vermögensgegenstände verwehrt.

Wird dem Schuldner eine selbstständige Tätigkeit gestattet, kann überdies auf Antrag eines Neugläubigers ein auf dieses Vermögen beschränktes zweites Insolvenzverfahren gegen den Schuldner eröffnet werden (BGHZ 192, 322).

Anders ist dies freilich, wenn die selbständige Tätigkeit des Schuldners durch den Insolvenzverwalter selbst fortgesetzt wird. Dann gehören Einkünfte, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt, in vollem Umfang, ohne einen Abzug für beruflich bedingte Ausgaben, zur Insolvenzmasse. Der Schuldner kann nur gem. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850i Abs. 1 ZPO beantragen, dass ihm von seinen durch Vergütungsansprüche gegen Dritte erzielten Einkünften ein pfandfreier Betrag belassen wird. Dem Schuldner ist auf Antrag so viel zu belassen, wie er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt benötigt, aber nicht mehr, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Arbeitseinkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Dabei setzt das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht den dem Schuldner zu belassenden Betrag unter Beachtung der §§ 850a ff. ZPO individuell fest. Außerdem hat der Schuldner die Möglichkeit, Unterhaltsansprüche gem. § 100 InsO geltend zu machen. Diese richten sich gegen die Insolvenzmasse, sofern der Schuldner sie aus der selbstständigen Tätigkeit nicht leisten kann.