Aufrechnung im Falle bedingter Forderungen nach Widerruf Darlehensvertrag

 

BGH, Urteil v. 03.03.2016, IX ZR 132/15
Leitsatz:
InsO § 95 Abs. 1, § 96 Abs. 1 Nr. 1
Hängen beide Forderungen von derselben Bedingung ab, ist eine Aufrechnung nach § 95 Abs. 1 InsO auch dann zulässig, wenn es sich dabei um eine rechtsgeschäftliche Erklärung handelt (Ergänzung zu BGHZ 160, 1).
Durch den Eintritt des Darlehensgebers in das Rückabwicklungsverhältnis nach Widerruf eines verbundenen Geschäfts erlöschen die Ansprüche des Verbrauchers gegen den Unternehmer und des Darlehensgebers gegen den Verbraucher kraft Gesetzes, soweit das Darlehen dem Unternehmer zugeflossen ist. Dies gilt auch in der Insolvenz des Verbrauchers. (amtlicher Leitsatz)

Entscheidung:
Der Kläger ist Treuhänder im Insolvenzverfahren über das Vermögen der S. J. (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin schloss im Jahr2006 einen Ratenkreditvertrag mit der Beklagten ab, der auch den Abschluss einer Restschuldversicherung mit der V. AG (fortan: Versicherer) umfasste. Die Beklagte zahlte den Nettokreditbetrag von 13.000,- € sowie weitere 885,04 € an Versicherungsprämie weisungsgemäß aus. Die Schuldnerin verpflichtete sich zu 84 Darlehensraten.

Das Amtsgericht eröffnete am 6. Januar 2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Schuldnerin insgesamt 2.484,22 € zurückgezahlt. Die Beklagte meldete am 30. Januar 2009 eine Forderung aus dem Darlehensvertrag in Höhe von 10.515,78 € zur Insolvenztabelle an. Mit Schreiben vom 26. Februar 2009 an die Beklagte widerrief der Kläger den Kreditvertrag und forderte die Beklagte auf, den auf den Versicherungsbeitrag entfallenden Teil der Darlehenssumme an die Insolvenzmasse zurückzuzahlen. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2012 an den Versicherer widerrief der Kläger auch die auf den Abschluss des Restschuldversicherungsvertrags gerichtete Willenserklärung. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung der Versicherungsprämie in Höhe von 885,04 € sowie die Rückzahlung der von der Schuldnerin erbrachten Leistungen in Höhe von 2.484,22 €, insgesamt 3.369,26 €. Hilfsweise hat die Beklagte im Prozess die Aufrechnung mit ihrem Darlehensrückzahlungsanspruch erklärt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Revisionsinstanz hat die Beklagte die Aufrechnung unbedingt erklärt. Der Bundesgerichtshof versagt der Revision den Erfolg.

Dem Kläger steht kein durchsetzbarer Anspruch auf Rückzahlung der von der Schuldnerin vor Insolvenzeröffnung bezahlten Darlehensraten in Höhe von 2.484,22 € zu. Er ist aufgrund der Aufrechnung der Beklagten mit ihren Ansprüchen auf Rückzahlung der Darlehensvaluta erloschen (§§ 387, 389 BGB). Der Bundesgerichtshof lässt offen, ob es sich bei dem Anspruch der Beklagten um eine Masseverbindlichkeit handelt und ob der Widerruf des Klägers als Handlung des Insolvenzverwalters gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO anzusehen ist oder ob es sich bei der Zahlungsaufforderung des Klägers um ein Erfüllungsverlangen handelt, auf das § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO entsprechend anzuwenden wäre. Denn die Aufrechnung der Beklagten sei auch dann wirksam, wenn es sich beim Anspruch der Beklagten nicht um eine Masseverbindlichkeit handeln sollte.

Die Aufrechnung der Beklagten sei jedenfalls nach § 95 Abs. 1 InsO wirksam.

Kläger und Beklagter standen wechselseitig Forderungen aufgrund des Widerrufs zu. Widerruft der Verbraucher einen verbundenen Vertrag, entsteht ein Rückgewährschuldverhältnis. Nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF sind die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt auf das Widerrufsrecht entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch für den verbundenen Vertrag (§ 358 Abs. 4 Satz 1 BGB aF).

Aufgrund eines wirksamen Widerrufs des Darlehensvertrags kann der Kläger die Rückgewähr der erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen verlangen. Die Beklagte kann jedenfalls insoweit die Rückzahlung des Darlehens verlangen, als es an den Verbraucher zur freien Verfügung geflossen ist. Sie kann weiter hinsichtlich dieses Teils des Darlehens Zinsen und Kosten verlangen; § 358 Abs. 4 Satz 2 BGB aF gilt nicht für diesen Teil des Darlehens (BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 - XI ZR 356/09, WM 2011, 451 Rn. 26 f).

Die wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis waren zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung aufschiebend bedingte Ansprüche. Grundlage des § 95 Abs. 1 InsO ist, dass die Forderungen dem Grunde nach und im Kern schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angelegt sind (Schmidt/Thole, InsO, 19. Aufl., § 95 Rn. 7). § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO gilt auch dann, wenn beide Forderungen oder nur die Forderung der Masse aufschiebend bedingt ist (BGH, Urteil vom 29. Juni 2004 - IX ZR 147/03, BGHZ 160, 1, 6). Es genügt, wenn die wechselseitigen Ansprüche in diesem Sinn bereits vor Insolvenzeröffnung entstanden sind.

Im Streitfall war eine Aufrechnungslage hinsichtlich der Ansprüche auf Rückgewähr der Darlehensvaluta und auf Erstattung der Darlehensraten bereits angelegt. Der wirksame Widerruf wandelt den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag gemäß § 346 BGB in Verbindung mit § 357 Abs. 1 BGB aF ex nunc in ein Rückabwicklungsverhältnis um (BGH, Urteil vom 10. März 2009 - XI ZR 33/08, BGHZ 180, 123 Rn. 19). Die wechselseitigen Rückzahlungsansprüche hängen lediglich davon ab, ob der Verbraucher von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht.

§ 95 Abs. 1 Satz 3 InsO verbietet eine Aufrechnung, wenn zuerst der Schuldner eine durchsetzbare Forderung besitzt. Werden die Forderungen gleichzeitig fällig, steht § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO einer Aufrechnung nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2005 - IX ZR 139/04, ZIP 2005, 1742, 1743; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2014, § 95 Rn. 12). Die Ansprüche der Schuldnerin auf Rückzahlung sind vorliegend nicht vor, sondern gleichzeitig mit den Ansprüchen der Beklagten fällig geworden; die Rückgewähransprüche bezüglich der einzelnen Vertragsverhältnisse entstehen ex nunc mit der Widerrufserklärung.

Etwas Anderes kann gelten, wenn nur eine der Forderungen unter einer Bedingung stand. Im Streitfall führt der Widerruf der Vertragserklärung der Schuldnerin jedoch kraft Gesetzes dazu, dass automatisch wechselseitige Rückgewährverpflichtungen bezüglich der einzelnen Vertragsverhältnisse entstehen. In einem solchen Fall wird die Aufrechnungslage von § 95 InsO geschützt. § 95 InsO beruht auf der Erwägung, dass ein Gläubiger, der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens darauf vertrauen durfte, dass die Durchsetzung seiner Forderung mit Rücksicht auf das Entstehen einer Aufrechnungslage keine Schwierigkeiten bereiten werde, in dieser Erwartung auch im Insolvenzverfahren nicht enttäuscht werden soll (BT-Drucks. 12/2443 S. 141 zu § 107 Reg-E). § 96 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO beruht genau gegenteilig darauf, dass der Gläubiger bei Verfahrenseröffnung noch nicht darauf vertrauen konnte, seine Forderung im Wege der Aufrechnung durchsetzen zu können (BTDrucks. 12/2443 S. 141 zu § 108 Reg-E). Entscheidend ist danach, ob die Bedingung dazu führt, dass aus Gründen der Insolvenz "künstlich" eine Aufrechnungsmöglichkeit geschaffen wird, die § 96 Abs. 1 InsO verhindern will, oder ob dies nicht der Fall ist (BGH, Urteil vom 29. Juni 2004 - IX ZR 147/03, BGHZ 160, 1, 7).

Den Rechtsfolgen des Widerrufs liegt die gesetzliche Wertung zugrunde, dass das zwischen Leistung und Gegenleistung bestehende vertragliche Synallagma auch bei der Rückabwicklung des Vertrags nach einem Widerruf zu berücksichtigen ist (Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 348 Rn. 1).

Mit dem Widerruf entstehen sowohl der eine wie der andere Anspruch "automatisch. Einschränkungen könnten denkbar sein, soweit die wechselseitigen Rückgewähransprüche auf Leistungen beruhen, die nach Insolvenzeröffnung mit Mitteln der Masse erbracht wurden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2001 - IX ZR 401/99, BGHZ 149, 326, 335 f), oder sofern die Ansprüche der Schuldnerin unbedingt und fällig geworden wären, bevor die Aufrechnung erfolgen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 - IX ZR 200/03, BGHZ 161, 241, 254). § 95 Abs. 1 Satz 1 InsO will die Aufrechnung erleichtern und geht der Regelung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor.

Vorliegend besteht auch kein Anspruch gegen die Beklagte aus § 346 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 357 Abs. 1, § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB aF auf Erstattung der Versicherungsprämie, weil die Schuldnerin die Versicherungsprämie nicht aus ihrem Vermögen gezahlt hat.

Dem Verbraucher steht gegenüber dem Darlehensgeber von vornherein kein Anspruch auf Rückerstattung derjenigen Leistungen an den Unternehmer zu, die der Darlehensgeber durch Auszahlung des Darlehens an den Unternehmer finanziert hat. Seine Ansprüche gegen den Unternehmer auf Rückzahlung des aus dem Darlehen finanzierten Entgelts mindern die Ansprüche der Bank (im Wege der Verrechnung). Die Rückabwicklung der an den Versicherer im Sinne des § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB aF geflossenen Leistungen hat demnach nur im Verhältnis zwischen diesem und dem Darlehensgeber zu erfolgen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 aaO), so auch im Fall der Insolvenz des Verbrauchers. Es bedarf im Verhältnis zwischen Schuldner und Darlehensgeber insbesondere keiner Aufrechnung, soweit der Darlehensgeber die Leistungen an den Unternehmer finanziert hat.

Der Schuldner wird von jeder Verpflichtung befreit, das an den Unternehmer ausgezahlte Darlehen zurückzuzahlen. Schon unter der Geltung des Abzahlungsgesetzes entsprach es der Rechtsprechung, dass bei einem verbundenen Geschäft dem Darlehensgeber nach einem Widerruf kein Anspruch gegen den Verbraucher auf Rückzahlung des an den Unternehmer geflossenen Darlehens zustand (BGH, Urteil vom 29. März 1984 - III ZR 24/83, BGHZ 91, 9, 18 f).

Diese gesetzliche Wertung gilt auch in der Insolvenz des Verbrauchers. Auf §§ 95, 96 InsO kommt es nicht an. Denn diese Vorschriften setzen voraus, dass selbständige, wechselseitige Forderungen bestehen (BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 - IX ZR 194/05, BGHZ 170, 206 Rn. 9). Daran fehlt es beim Eintritt des Darlehensgebers in das Rückabwicklungsverhältnis nach § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB aF, soweit es um die Darlehensbeträge geht, die dem Unternehmer bei Wirksamwerden des Widerrufs bereits zugeflossen sind.