Benachteiligungsvorsatz bei Kenntnis der Zahlungseinstellung

BGH, Urteil v. 25.02.2016, IX ZR 109/15
Leitsatz:
InsO § 133 Abs. 1
Schweigt der Schuldner einer erheblichen Forderung während eines monatelangen Zeitraums auf Rechnungen und Mahnungen und bietet er nach Einschaltung eines Inkassounternehmens und Erwirken eines Mahnbescheids in dem auf seinen Widerspruch eingeleiteten gerichtlichen Verfahren die ratenweise Zahlung der Gesamtforderung einschließlich der Zinsen und der angefallenen Kosten an, hat der Gläubiger die Zahlungseinstellung des Schuldners, dessen Zahlungsverzug nicht mit einer fortdauernden Anspruchsprüfung erklärt werden kann, erkannt.

Entscheidung:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem auf den Antrag vom 7. Dezember 2010 über das Vermögen der C. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin) am 24. Februar 2011 eröffneten Insolvenzverfahren.

Die Schuldnerin beauftragte die Beklagte im Rahmen einer ständigen Geschäftsbeziehung mit einem Materialtransport. Für diese Leistung stellte die Beklagte der Schuldnerin vereinbarungsgemäß am 30. Juni und 31. August 2009 insgesamt den Betrag von 16.195,70 € in Rechnung. Ohne Erfolg mahnte die Beklagte am 22. Juli, 29. Juli, 5. August und 23. September 2009 gegenüber der Schuldnerin die Zahlung an.

Ein von der Beklagten mit dem Forderungseinzug betrautes Inkassounternehmen erwirkte am 19. November 2009 einen Mahnbescheid. Im Rahmen eines am 21. April 2010 festgestellten gerichtlichen Vergleichs verpflichtete sich die Schuldnerin zu monatlichen Ratenzahlungen. Die Schuldnerin entrichtete am 12. April, 14. Mai und 29. Juni 2010 jeweils 1.500,- € an die Beklagte.

Mit vorliegender Klage nimmt der Kläger unter dem Gesichtspunkt der Vorsatzanfechtung die Beklagte auf Erstattung der empfangenen Zahlungen über 4.500,- € in Anspruch. Die Vordergerichte haben die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof verurteilte die Beklagte.

Die Klage sei in der Hauptsache gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO begründet. Die Beklagte habe im Wissen um die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin deren Benachteiligungsvorsatz erkannt.

Die subjektiven Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können - weil es sich um innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen handelt - meist nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden (BGH, Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 159/06, WM 2009, 1943 Rn. 8). Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz. Kennt der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so weiß er auch, dass Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren und verzögern. Mithin ist ein solcher Gläubiger zugleich regelmäßig über den Benachteiligungsvorsatz im Bilde. Die Schuldnerin, die offene Verbindlichkeiten von mehr als 100.000,- € vor sich herschob, war sich während des gesamten Zahlungszeitraums ihrer Zahlungsunfähigkeit bewusst. Dies gestatte den Schluss auf ihren Benachteiligungsvorsatz.

Die Beklagte hat die aus einer Zahlungseinstellung herrührende Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) und damit den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin erkannt. Die revisionsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 7. November 2013 - IX ZR 49/13, WM 2013, 2272 Rn. 8; vom 10. Juli 2014 - IX ZR 280/13, WM 2014, 1868 Rn. 18; vom 12. Februar 2015 - IX ZR 180/12, WM 2015, 591 Rn. 15).

Das monatelange völlige Schweigen der Schuldnerin auf die Rechnungen und vielfältigen Mahnungen der Beklagten begründete schon für sich genommen ein Indiz für eine Zahlungseinstellung (BGH, Beschluss vom 21. August 2013 - 1 StR 665/12, NJW 2014, 164 Rn. 15; RG JW 1926, 591 Nr. 12; Jaeger/Müller, InsO, 2004, § 17 Rn. 32; MünchKomm-GmbHG/ Wißmann, 2. Aufl., § 84 Rn. 150).

Die Beklagte hat einen erheblichen Zahlungsdruck gegenüber der Schuldnerin entfaltet. Das monatelange Schweigen der Schuldnerin deute aus der Sicht der Beklagten nach aller Erfahrung nicht auf eine andauernde Forderungsprüfung, sondern auf schwerwiegende Liquiditätsprobleme hin. Die in dem ständigen Schieben der Forderung zum Ausdruck kommende schlechte Zahlungsmoral verdeutliche, dass die Schuldnerin am Rande des finanzwirtschaftlichen Abgrunds operierte (MünchKomm-InsO/Eilenberger, 3. Aufl., § 17 Rn. 30).

Durch die Einleitung des Mahnverfahrens und den Übergang in das streitige Verfahren waren erhebliche zusätzliche Kosten angefallen, die ein zahlungsfähiger Schuldner durch Begleichung der begründeten Forderung vermieden hätte.

Ein weiteres Indiz einer Zahlungseinstellung verkörpere sich in dem für die Beklagte infolge des Zeitablaufs zutage getretenen Unvermögen der Schuldnerin, die erhebliche Verbindlichkeit der Beklagten zu tilgen. Ein Gläubiger kennt die Zahlungseinstellung schon dann, wenn er selbst bei Leistungsempfang seine Ansprüche ernsthaft eingefordert hat, diese verhältnismäßig hoch sind und er weiß, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, die Forderungen zu erfüllen (BGH, Urteil vom 30. April 2015 - IX ZR 149/14, WM 2015, 1339 Rn. 9). Aus Rechtsgründen genügt es, wenn die Zahlungseinstellung auf Grund der Nichtbezahlung nur einer - nicht unwesentlichen - Forderung dem Anfechtungsgegner bekannt wird (BGH, Urteil vom 11. Februar 2010 - IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 39). Vorliegend habe die Beklagte erkennen können und müssen, dass die Schuldnerin nicht in der Lage war, ihre Verbindlichkeiten zurückzuführen.

In dem Vorschlag der Schuldnerin auf Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung gegenüber der Beklagten offenbare sich ein zusätzliches Indiz einer Zahlungseinstellung. Die Bitte des Schuldners auf Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung ist, wenn sie sich im Rahmen der Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs hält, als solche kein Indiz für eine Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2015 - IX ZR 6/14, WM 2015, 933 Rn. 3).

Eine Bitte um Ratenzahlung sei jedoch ein Indiz für eine Zahlungseinstellung, wenn sie vom Schuldner mit der Erklärung verbunden wird, seine fälligen Verbindlichkeiten (anders) nicht begleichen zu können (vgl. BGH, aaO Rn. 4 mwN; Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 17). Vor diesem Hintergrund sei es der Schuldnerin angesichts des monatelangen Zahlungsrückstands ersichtlich nicht darum gegangen, verfügbare Finanzmittel anderweitig einzusetzen. Einer Erfüllungsverweigerung oder eines sonstigen Verhaltens der Schuldnerin, das ihre Zahlungsunfähigkeit dokumentierte, habe es nicht bedurft (BGH, Urteil vom 22. November 1990 - IX ZR 103/90, ZIP 1991, 39, 40).

Bei dieser Sachlage haben sich mehrere Beweisanzeichen verwirklicht, die aus Sicht der Beklagten klar auf eine Zahlungseinstellung der Schuldnerin und damit auf einen Benachteiligungsvorsatz hindeuteten (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 - IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 18). Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin und die Kenntnis der Beklagten seien auch nicht durch die zwischen ihnen im Vergleichswege getroffene Ratenzahlungsvereinbarung beseitigt worden. Die hier verwirklichte Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) konnte nur beseitigt werden, indem die Schuldnerin ihre Zahlungen im Allgemeinen wieder aufnahm. Dies hat derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft. Für den nachträglichen Wegfall der subjektiven Anfechtungsvoraussetzung der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gilt Entsprechendes (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - IX ZR 3/12, WM 2013, 174 Rn. 33 mwN). Diesen Beweisanforderungen habe die Beklagte weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht genügt.

Es bestanden gegen die Schuldnerin im hier maßgeblichen Zahlungszeitraum durchweg Forderungen in Höhe von mehr als 100.000,- €. Die Zahlungseinstellung der Schuldnerin sei mangels einer allgemeinen Zahlungsaufnahme allein durch die vereinbarungsgemäße Erfüllung der Ratenzahlungen nicht behoben worden (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012, aaO Rn. 36).

Die Schlussfolgerung des Anfechtungsgegners, wonach die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zwischenzeitlich behoben ist, müsse von einer ihm nachträglich bekannt gewordenen Veränderung der Tatsachengrundlage und nicht von einem bloßen "Gesinnungswandel" getragen sein. Hier könne schon eine nachträgliche Änderung der Tatsachengrundlage nicht festgestellt werden. Auch habe die Schuldnerin gegenüber der Beklagten keine Erklärungen abgegeben, die das Vertrauen auf ihre wirtschaftliche Gesundung gerechtfertigt hätten (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2008, aaO Rn. 20; vom 20. November 2008 - IX ZR 188/07, WM 2009, 274 Rn. 13 f).

Es entspreche einer allgemeinen Lebenserfahrung, dass Schuldner - um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern - unter dem Druck eines besonders auf Zahlung drängenden Gläubigers Zahlungen bevorzugt an diesen leisten, um ihn zum Stillhalten zu bewegen. (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012, aaO Rn. 42 mwN).

Das Berufungsurteil war demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).