Aufschlüsselung der Forderung nach Arbeitnehmern

BGH, Beschluss v. 11.06.2015, IX ZB 76/13
Leitsatz:
1. Eine Aufschlüsselung der Forderung nach Arbeitnehmern ist bei einem Eröffnungsantrag eines Sozialversicherungsträgers zur Darlegung und Glaubhaftmachung der Forderung entbehrlich, wenn von dem Schuldner gefertigte Datensätze (sogenannte softcopys) vorgelegt werden (Aufgabe von BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686). (amtlicher Leitsatz)

Gründe:
I. Die Gläubigerin, eine gesetzliche Krankenversicherung, stellte am 12. August 2013 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners, der ein Umzugsunternehmen betreibt. Grundlage des Antrags waren rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus dem Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 6. März 2013 in Höhe von insgesamt 4.181,50 € einschließlich Säumniszuschlägen und Vollstreckungsgebühren. Hierbei schlüsselte die Gläubigerin die Beitragsforderungen nicht nach Arbeitnehmern, sondern lediglich nach Monaten auf. Zur Glaubhaftmachung der Forderung legte sie Computerausdrucke aus ihrem Datenbestand (sogenannte softcopys) bei. Diese geben nach dem Vorbringen der Gläubigerin die mittels Datenfernübertragung gemäß § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV durch den Schuldner im maßgeblichen Zeitraum übermittelten Beitragsnachweise wieder.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag der Gläubigerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Anhörung des Schuldners, der sich nicht geäußert hat, als unzulässig abgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag weiter.

II. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 4 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Insolvenzgericht.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Gläubigerin habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die von ihr behaupteten Forderungen gegen den Schuldner bestünden. Mit Blick auf § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV sei es zwar nicht mehr erforderlich, dass Sozialversicherungsträger zur Glaubhaftmachung Leistungsbescheide oder Beitragsnachweise der Arbeitgeber vorlegen müssten, welche die Forderungen der Arbeitgeber nach Monaten und Arbeitnehmern geordnet darstellten. Jedoch könne gleichwohl nicht jedes beliebige von einem öffentlich-rechtlichen Gläubiger gefertigte und als Beitragsnachweis betitelte Schriftstück ausreichen. Beitragsnachweise im Sinne von § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV seien nur die von der Einzugsstelle selbst gefertigten Beitragsbescheide, die dem Schuldner zugesandt worden seien, oder Eigenbelege des Schuldners in Form einer Eigenmeldung. Solche habe die Gläubigerin mit den von ihr selbst gefertigten Ausdrucken nicht vorgelegt.

2. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Antrag eines Gläubigers zulässig, wenn der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat und seine Forderung und den Eröffnungsgrund glaubhaft macht. Das Beschwerdegericht hat sich bislang lediglich mit der Frage befasst, ob der Antrag, was die Darlegung und Glaubhaftmachung der geltend gemachten Forderung angeht, den Zulässigkeitsvoraussetzungen dieser Bestimmung genügt. Dies kann anhand der bisherigen Feststellungen des Beschwerdegerichts entgegen dessen Ansicht nicht verneint werden.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist regelmäßig beim Eröffnungsantrag eines Sozialversicherungsträgers für die schlüssige Darlegung der Forderungen der Einzugsstelle eine Aufschlüsselung nicht nur nach Monat, sondern auch nach Arbeitnehmern erforderlich (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686, 1687; vom 13. Juni 2006 - IX ZB 214/05, WM 2006, 1629 Rn. 8; ferner LG Hamburg,ZInsO 2010, 1842, 1843; Vallender/Undritz/Laroche, Praxis des Insolvenzrechts, S. 57; Mitter in Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, 2012, § 14 Rn. 31). An dem letztgenannten Erfordernis hält der Senat im Hinblick auf die Neufassung von § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes über den Ausgleich von Arbeitgeberforderungen vom 22. Dezember 2005 (BGBl. I, 3686) nicht mehr fest. Nach dieser Bestimmung gilt der durch den Arbeitgeber der Einzugsstelle durch Datenübertragung zu übermittelnde Beitragsnachweis nicht nur für die Vollstreckung als Leistungsbescheid, sondern auch im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderung der Einzugsstelle, obwohl dieser die fällige Beitragsschuld in einer Summe und ohne Bezug zum einzelnen Arbeitnehmer ausweist (vgl. Roßbach in Kreikebohm/Spellenbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl., § 28f SGB IV Rn. 16). Nach der Gesetzesbegründung soll hierdurch eine nach einzelnen Arbeitnehmern aufgeschlüsselte Aufstellung der Forderungen entbehrlich sein, weil diese in dem gesetzlich vorgesehenen Melde- und Beitragsnachweisverfahren nicht darstellbar und nicht notwendig sei (BT-Drucks., 16/39, S. 15). Die Umgestaltung des Melde- und Beitragsnachweisverfahrens führt dazu, dass eine Aufschlüsselung nach Arbeitnehmern im Rahmen der Antragstellung nach § 13 InsO nicht mehr geboten ist (vgl. LG Frankenthal, NZI 2010, 960 [LG Frankenthal 11.08.2010 - 1 T 182/10]; HK-InsO/Kirchhof, 7. Aufl., § 14 Rn. 9; Schmahl, NZI 2007, 20, 21 Fn. 2).

b) Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass die von der Gläubigerin geltend gemachten Forderungen schlüssig dargelegt sind, aber die vorgelegten Bildschirmauszüge als Mittel der Glaubhaftmachung nicht geeignet seien.

aa) Der Begriff der Glaubhaftmachung in § 14 Abs. 1 InsO entspricht dem des § 294 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2003 - IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139, 142 ; vom 13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rn. 5; vom 23. Oktober 2008 - IX ZB 7/08, WuM 2009, 144 Rn. 3; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 14 Rn. 4; HK-InsO/Kirchhof, aaO Rn. 12). Danach ist hinsichtlich der den Antrag stützenden Forderung deren schlüssige Darlegung und die überwiegende Wahrscheinlichkeit ihres Bestehens erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686, 1687). Daher muss der Gläubiger wie auch sonst bei § 294 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen nicht glaubhaft machen, wenn sie unstreitig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rn. 3; vom 21. Juli 2011 - IX ZB 256/10, ZInsO 2011, 1614 Rn. 4; vom 12. Juli 2012 - IX ZB 264/11, ZInsO 2012, 1418 Rn. 7; HK-InsO/Kirchhof, aaO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009 - IX ZB 185/08, WM 2009, 619 Rn. 7).

bb) Hiernach konnte das Beschwerdegericht, das die Darlegungen der Gläubigerin zu deren Forderungen gegen den Schuldner als schlüssig angesehen hat, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mit der Begründung ablehnen, die von der Gläubigerin vorgelegten Ausdrucke seien zur Glaubhaftmachung der auf Grundlage der Beitragsnachweise des Schuldners errechneten Gesamtforderung nicht geeignet.

c) Bei den von der Gläubigerin eingeforderten Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich um Forderungen öffentlich-rechtlicher Hoheitsträger. Diese sind bei Ausübung ihrer Tätigkeit an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). An die Darlegung ihrer Forderungen sind daher keine nach dem Zweck des Gesetzes nicht veranlassten formalen Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 29/03, WM 2004, 1686, 1687). Maßgeblich sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2005 - IX ZB 205/04, NZI 2006, 34).

Ob die von der Gläubigerin eingereichten Datenauszüge (sogenannte softcopys) nahe legen, dass die abgebildeten Daten vom Arbeitgeber stammen und deshalb den Beitragsnachweis-Datensatz zutreffend abbilden, bedarf der tatrichterlichen Würdigung. Hierbei ist bedeutsam, ob die vorgelegten Abbildungen über einen bloßen Kontoauszug als verwaltungsinterne Arbeitshilfe hinausgehen. Die Erleichterungen bei der Darlegung der Forderung greifen nur ein, wenn die Daten entsprechend den nach § 28b Abs. 2 Satz 1 SGB IV bundeseinheitlich festgelegten "Gemeinsamen Grundsätze zum Aufbau der Datensätze für die Übermittlung von Beitragsnachweisen durch Datenübertragung nach § 28b Abs. 2 SGB IV " ausgerichtet sind. Hierzu sollte ihnen insbesondere die erforderliche Unterscheidung der in den vorgenannten Grundsätzen genannten Beitragsgruppen nebst den entsprechenden Schlüsselzahlen zu entnehmen sein (vgl. vorgenannte Grundsätze, Seite 6 f). Auch sollte der Datensatz den Arbeitgeber oder eine von diesem bevollmächtigte Person als Meldenden benennen. Bei der dahingehenden tatrichterlichen Würdigung ist zu berücksichtigen, dass die zur Datenübertragung nach § 28f Abs. 3 Satz 1 SGB IV genutzten Systeme eine gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung der Meldungen sicherstellen müssen (vgl. § 28c Nr. 4 SGB IV, § 1, § 16 Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung vom 10. Februar 1998 (DEÜV)). Damit kann regelmäßig ausgeschlossen werden, dass die im Datenbestand angezeigten Daten von Dritten stammen. Da auch die Einzugsstelle bei der Ausübung ihrer Tätigkeit an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG), wird im Regelfall kein Anhalt dafür bestehen, dass die angezeigten Daten in Abweichung von einer Arbeitgebermeldung von Mitarbeitern der Einzugsstelle eingegeben wurden.

d) Die Darlegungen der Gläubigerin zur Beitragsforderung hat der hierzu angehörte Schuldner im Übrigen nicht bestritten, so dass es keiner Glaubhaftmachung mit den Mitteln des § 294 ZPO bedurfte.

III. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich. Die Sache ist deswegen gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zurückzuverweisen, und zwar an das Insolvenzgericht. Das hält der Senat für sachgerecht, weil eine erschöpfende Prüfung der Zulässigkeit des Eröffnungsantrags sowie der Eröffnungsvoraussetzungen bislang noch nicht stattgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2004 - IX ZB 161/03, BGHZ 160, 176, 185).