Vollzug einer vor Insolvenzeröffnung verfügten Gewerbeuntersagung nach Freigabe der untersagten gewerblichen Tätigkeit

OVG Berlin Brandenburg, Beschl. v. 11.07.2014, OVG 1 L 38.14
Leitsatz:
1. Eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verfügte Gewerbeuntersagung kann (wieder) vollzogen werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen von § 12 Satz 2 GewO erfüllt sind. (amtlicher Leitsatz)

Gründe:
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Mit Beschluss vom 23.4.2014 hat das VG gegen die Antragsgegnerin zur Vollstreckung des ihr am 7.8.2013 zugestellten Bescheids des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg vom 5.8.2013 gem. § 5a Satz 1 VwVfG Bln i.V. m. § 16 Abs. 1 Satz 1 VwVG eine Ersatzzwangshaft von fünf Tagen angeordnet, um sie zur Einstellung ihrer gewerblichen Tätigkeit und zur entsprechenden Anzeige anzuhalten, nachdem das mit ebenfalls unanfechtbarem Bescheid vom 11.9.2013 festgesetzte Zwangsgeld uneinbringlich war.

Entgegen der Ansicht der Beschwerde sind die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Gewerbeuntersagung gegeben; insbesondere steht dem nicht entgegen, dass über das Vermögen der Antragsgegnerin mit Beschluss des AG Charlottenburg vom 26.8.2013 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, denn der Insolvenzverwalter hat die untersagte gewerbliche Tätigkeit der Antragsgegnerin als Fitnesstrainerin und Tanzpädagogin mit Schreiben vom 19.9.2013 rückwirkend zum 26.8.2013 freigegeben. Die Antragsgegnerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass § 12 Satz 1 GewO eine Sperrwirkung entfalte.

Es ist bereits fraglich, ob § 12 Satz 1 GewO (auch) für das Verwaltungsvollstreckungsverfahren gilt, denn nach dessen Wortlaut finden „Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes ... wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, ... während eines Insolvenzverfahrens, ... keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde“. Um eine Gewerbeuntersagung (Hervorhebung des Gerichts) nach § 35 Abs. 1 GewO geht es vorliegend jedoch nicht (mehr), denn diese war hier bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verfügt und damit im vorstehenden Sinne „angewendet“ worden (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 21.11.2002 – 8 UE 3195/01, ZVI 2003, 128 = juris Rz. 27, dazu EWiR 2003, 1033 (Blank)). § 12 Satz 1 GewO verschiebt weder den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden (vgl. VGH München, Urt. v. 27.1.2014 – 22 BV 13.260, ZVI 2014, 150 = juris Rz. 19 ff. m.w. N.; offengelassen im Senatsbeschl. v. 3.11.2009 – OVG 1 S 19.09, juris Rz. 4 m.w. N.), noch wird eine zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung rechtmäßige Gewerbeuntersagung durch die spätere Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO oder die spätere Einleitung eines Insolvenzverfahrens rechtswidrig (vgl. OVG Münster, Urt. v. 12.4.2011 – 4 A 1449/08, ZVI 2011, 382 = juris Rz. 41 ff. m.w. N.).

Allerdings wird in der Rechtsprechung vertreten, dass die Gewerbeuntersagung während der in § 12 Satz 1 GewO genannten Zeitabschnitte in der Regel nicht vollzogen werden darf (vgl. OVG Münster ZVI 2011, 382 = juris Rz. 50 ff.; Nachw. zur Gegenauffassung im Urteil des VGH München ZVI 2014, 150 = juris Rz. 27 f.). Dies kann hier jedoch ebenso dahingestellt bleiben wie die Ansicht des Antragstellers, dass der Zweck von § 12 Satz 1 GewO nicht so weit reiche, dass eine bereits untersagte gewerbliche Betätigung wieder zu gestatten wäre bzw. eine bereits verfügte Gewerbeuntersagung nicht mehr vollzogen werden dürfe. Denn die Sperrwirkung von § 12 Satz 1 GewO gilt nach dem durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung der GewO und anderer Gesetze vom 5.12.2012 (BGBl I, 2415) zur Klarstellung eingefügten (vgl. Begr. zum RegE v. 10.10.2012, BT-Drucks. 17/10961, S. 1 und 11) und am 12.12.2012 in Kraft getretenen Satz 2 der Vorschrift „nicht für eine nach § 35 Absatz 2 Satz 1 der Insolvenzordnung freigegebene selbstständige Tätigkeit des Gewerbetreibenden, wenn dessen Unzuverlässigkeit mit Tatsachen begründet wird, die nach der Freigabe eingetreten sind“. Sofern man also den Anwendungsbereich von § 12 Satz 1 GewO nach dessen Sinn und Zweck auf das Verwaltungsvollstreckungsverfahren ausdehnen will (so OVG Münster ZVI 2011, 382 = juris Rz. 50 ff.; Fortführung mit Beschl. v. 19.5.2011 – 4 B 1707/10, ZIP 2013, 740 = GewArch 2011, 314 = juris Rz. 14 ff.), so wäre § 12 Satz 2 GewO ebenfalls anzuwenden; denn wenn schon die Untersagung einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen gewerblichen Betätigung (wieder) zulässig ist, so muss dies erst recht für die Vollstreckung einer bereits ausgesprochenen und hier sogar bestandskräftigen Untersagungsverfügung gelten, sofern die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen von § 12 Satz 2 GewO erfüllt sind (so im Ergebnis zur bis zum 12.12.2012 geltenden Gesetzeslage: OVG Münster ZIP 2013, 740 = GewArch 2011, 314 = juris Rz. 21).

So verhält es sich hier, denn die Antragsgegnerin hat nach Freigabe der untersagten Gewerbetätigkeit ihre Pflicht zur Entrichtung von Umsatzsteuern in nicht ganz unbeträchtlichem Maße verletzt, wie der Antragsteller unwidersprochen mitgeteilt hat, und sich damit erneut als gewerberechtlich unzuverlässig erwiesen.