BGH, Urteil v. 10.04.2014, IX ZR 176/13
Leitsatz:
1. Zur Berechnung der Forderung eines Anlegers, der seine Einlage in einem in Form eines Schneeballsystems betriebenen Einlagenpool verloren hat. (amtlicher Leitsatz)
Tatbestand:
Der Beklagte ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (Schuldnerin), das am 1. Juli 2005 eröffnet worden ist. Die Schuldnerin bot seit 1992 nach Maßgabe ihrer allgemeinen Geschäftsbedingungen Beteiligungen an einem Einlagenpool ("Managed Account") an, welche die Anleger am Erfolg oder Nichterfolg der von ihr, der Schuldnerin, betriebenen Optionsgeschäfte teilhaben lassen sollten. Sie erwirtschaftete bis 1997 hohe Verluste, die sie jedoch verschwieg. Ihre auf gefälschten Kontoauszügen und Saldenbestätigungen beruhenden Jahresabschlüsse sowie die Kontoauszüge und Abrechnungen, welche die Anleger erhielten, wiesen tatsächlich nicht erzielte Gewinne aus. Die Schuldnerin verwandte die Einlagen im Wesentlichen dazu, Scheingewinne an schon vorhandene Anleger auszuzahlen und sonstige Rückzahlungen zu leisten sowie die eigenen Geschäftskosten zu decken. Optionsgeschäfte betrieb sie seit 1997 allenfalls in - bezogen auf die Einlagen - geringem Umfang.
Die Klägerin hatte sich seit dem 1. April 1997 mit Einlagen in Höhe von insgesamt 15.269,87 € (ohne Agio) beteiligt. Am 29. Dezember 2000 wurden ihr 12.782,30 € ausgezahlt. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete sie unter Angabe ihrer "Vertragsnummer" eine als "Hauptforderung/letzter Kontostand" bezeichnete Forderung von 17.370,13 € zur Tabelle an. Der Beklagte bestritt die Forderung.
Die Klägerin macht nunmehr die Differenz zwischen den Einlagen und der Auszahlung als Insolvenzforderung geltend. Sie hat beantragt, eine Forderung von 2.487,57 € zur Tabelle festzustellen. Der Beklagte ist dem Antrag entgegen getreten. Seiner Ansicht nach muss sich die Klägerin die vertraglich vereinbarten Verwaltungsprovisionen sowie die im Zeitraum ihrer Beteiligung erwirtschafteten Handelsverluste von anteilig 3.057,02 € anrechnen lassen. Mit der Auszahlung von 12.782,30 € habe sie bereits mehr erhalten, als ihr danach zustehe. Das Amtsgericht hat die beantragte Feststellung getroffen. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Klägerin stehe eine Insolvenzforderung in Höhe der Differenz zwischen ihrer Einlage und den Rückzahlungen zu. Verwaltungskosten seien zwar vereinbart worden, dürften aber nicht abgezogen werden. Die Schuldnerin habe den in Nr. 10.2 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarten Anspruch auf Gebühren in Höhe von 0,5 v.H. des jeweiligen Vermögensstandes durch ihr unredliches Verhalten verwirkt. Auch die in Nr. 7, 13 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin vereinbarte Verlustbeteiligung verstoße unter den gegebenen Umständen gegen Treu und Glauben.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
1. Gegenstand des Rechtsstreits nach § 179 Abs. 1, § 180 Abs. 1 Satz 1 InsO sind ausschließlich die vertraglichen Ansprüche der Klägerin. Ansprüche der Klägerin gegen die Schuldnerin aus unerlaubter Handlung sind nicht zur Tabelle angemeldet worden; sie bleiben deshalb außer Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2007 - IX ZR 221/05, BGHZ 173, 103 Rn. 12; vom 22. Januar 2009 - IX ZR 3/08, NZI 2009, 242 Rn. 8 ff; vom 21. Februar 2013 - IX ZR 92/12, NZI 2013, 388 Rn. 21).
2. Der Senat hat sich im Rahmen eines Anfechtungsrechtsstreits im Zusammenhang mit der Abgrenzung des entgeltlichen vom unentgeltlichen Teil einer Rückzahlung wie folgt zur Berechnung des dem Anleger zustehenden Rückzahlungsanspruchs geäußert (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - IX ZR 60/10, WM 2011, 364 Rn. 12 ff; ähnlich Urteil vom 10. Februar 2011 - IX ZR 18/10, NZI 2011, 324 Rn. 8, 14):
"Die Beklagte (= Anlegerin) war von Anfang an berechtigt, den vertragsgemäß eingezahlten Betrag zurückzuverlangen (§ 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB). Nach den vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin sollten allerdings Verluste aus den Anlagegeschäften mit den Beiträgen des Anlegers verrechnet werden (AGB Nr. 1.2, 5.2, 5.3) und die Schuldnerin als Vergütung eine monatliche Verwaltungsgebühr von 0,5 v.H. vom jeweiligen Vermögensstand erhalten (AGB Nr. 10.2). Diese Klauseln berücksichtigt die vom Kläger nachträglich erstellte "Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neuberechnung der Gebühren" in Verbindung mit der auf das Guthaben der Beklagten bezogenen "Realen Gewinn- und Verlustverteilung", in welcher der Kläger die Entwicklung des Kontos der Beklagten abweichend von den tatsächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von in den Jahren 2000 bis 2003 eingetretenen Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen versucht. ... Eine Verrechnung der anteiligen Verluste aus den in geringem Umfang noch getätigten Anlagegeschäften und der Verwaltungsgebühr mit der Einzahlung der Beklagten verstößt unter den gegebenen Umständen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. ... Den Anspruch auf die Verwaltungsgebühr hat die Schuldnerin verwirkt. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein an sich begründeter Vergütungsanspruch nach dem Rechtsgedanken des § 654 BGB verwirkt sein, wenn ein Dienstverhältnis eine besondere Treuepflicht begründet und der Dienstleistende in schwerwiegender Weise diese Treuepflicht verletzt und sich dadurch als seines Lohnes unwürdig erweist. ... Unstreitig hat die Schuldnerin die schon in den Jahren vor dem Beitritt der Beklagten (= Anlegerin) eingetretenen hohen Verluste zu verschleiern versucht, indem sie zunächst Buchungen manipulierte, später fiktive gewinnbringende Anlagegeschäfte über ein nicht existierendes Konto vortäuschte und die Einzahlungen der Anleger entgegen der vertraglichen Vereinbarung weit überwiegend nicht mehr für neue Anlagen, sondern für Auszahlungen an Altkunden und für die laufenden Kosten verwendete. Das dargestellte Vorgehen der Schuldnerin, die in betrügerischer Weise neue Anleger warb und ihre vertraglichen Verpflichtungen entsprechend ihrer vorgefassten Absicht grob verletzte, verbietet es auch, die Beklagte (= Anlegerin) in der Weise am Vertrag festzuhalten, dass ihr Anspruch auf Rückzahlung der Einlage um die Verluste aus den wenigen noch getätigten Anlagegeschäften zu vermindern wäre."
3. An dieser Ansicht hält der Senat fest. Die hiergegen von der Revision erhobenen Rügen greifen nicht durch.
a) Die Revision meint, das betrügerische Verhalten der Schuldnerin habe bei der Prüfung des Umfangs der vertraglichen Ansprüche der Klägerin außer Betracht zu bleiben. Diese Ansicht trifft nicht zu. Die zweckwidrige Verwendung der eingesammelten Gelder erfüllt nicht nur den Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB), sondern stellt auch eine Vertragspflichtverletzung gegenüber jedem einzelnen Anleger dar, dem versprochen worden war, dass seine Einlage zur Erhöhung der Gewinnchancen mit den Einlagen der anderen Anleger gepoolt werden würde. Gleiches gilt für das betrügerische Einwerben neuer Verträge zur Fortführung des "Schneeballsystems", welches (auch) dazu diente, scheinbar erzielte Gewinne auszuzahlen und so die bereits vorhandenen Anleger von der Kündigung ihrer Verträge abzuhalten.
b) Die Revision beanstandet weiter, dass die Sichtweise des Senats die Anleger besser stelle, als sie stünden, wenn die Schuldnerin sich vertragsgemäß verhalten hätte. Diese hätten gerade keinen vertraglichen Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als hätte der Einlagenpool keinerlei Verlust erzielt. Die Verluste, welche der Beklagte anteilig anrechnen wolle, seien tatsächlich entstanden und wären wohl auch bei vertragsgerechtem Verhalten der Schuldnerin entstanden. Auch diese Argumentation greift zu kurz. Bei vertragsgerechtem Verhalten der Schuldnerin hätte die Klägerin ihre Einlage wahrscheinlich vollständig verloren. Gegenstand des Vertrages war jedoch die Chance, durch Optionsgeschäfte Gewinne zu erzielen. Um diese Chance ist die Klägerin gebracht worden, weil die versprochenen Geschäfte überwiegend gar nicht erst getätigt worden sind. Dann ist kein Grund ersichtlich, warum sie mit Nebenkosten oder der vertraglich vereinbarten Verlustbeteiligung belastet werden sollte.
c) Die Revision rügt schließlich die ihrer Ansicht nach zufälligen Ergebnisse. Die tatsächlichen Verluste würden nach der Lösung des Berufungsgerichts über die Senkung der Quote gleichmäßig auf alle Anleger umgelegt, auch auf diejenigen, die sich zu einer Zeit beteiligt hätten, als gar keine Geschäfte mehr getätigt wurden und keine anrechenbaren Verluste mehr entstanden seien. Für einen solchen "Solidarausgleich" gebe es keine Grundlage. Dies trifft nicht zu. Jeder Anleger, dessen Vertrag die Schuldnerin durch die zweckwidrige Verwendung seiner Einlage oder der Einlage anderer Anleger, die dem Einlagenpool zuzuführen gewesen wäre, verletzt hat, hat nach der Lösung des Senats Anspruch auf Rückzahlung seiner Einlage abzüglich der Rückzahlungen, welche die Schuldnerin vor der Eröffnung noch geleistet hat. Es kommt also nur auf die Vertragsverletzung an, die in der "Veruntreuung" der für den Pool bestimmten Gelder liegt. Keinem der hiervon betroffenen Anleger hätte die Schuldnerin bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens Verwaltungsgebühren abverlangen oder Verluste zuweisen können. Ob mehr oder weniger Geld "veruntreut" wurde, weil die Geschäftstätigkeit der Schuldnerin zum Erliegen kam, spielt für die Frage des Vertragsbruchs keine Rolle. Da die vorhandene Masse nicht zur Erfüllung sämtlicher Ansprüche ausreicht, können die Gläubiger nur mit einer Quote rechnen. Zu Ungleichbehandlungen kommt es allerdings dann, wenn Rückzahlungen erfolgt sind, die wegen Zeitablaufs nicht mehr im Wege der Anfechtung zur Masse gezogen werden können. Diese Anleger, zu denen die Klägerin gehört, werden gegenüber solchen Anlegern bevorzugt, deren Rückzahlungsanspruch noch offen ist, die also nur die Quote erhalten. Diese Ungleichbehandlung liegt jedoch in den Vorschriften des Insolvenzrechts begründet, welche die Anfechtung nur in bestimmten Zeiträumen vorsieht.
d) Im Übrigen ist eine Divergenz zur Rechtsprechung des XI. Zivilsenats, der über Schadensersatzansprüche von Anlegern nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz entschieden hat, nicht gegeben. Der XI. Zivilsenat hat ausdrücklich erwogen, dass weitergehende Schadensersatzansprüche der Anleger gegen ihren Vertragspartner bestehen können (BGH, Urteil vom 23. November 2010 - XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 30, 32; vom 25. Oktober 2011 - XI ZR 67/11).