Neue erbrechtliche Möglichkeiten für vor dem 01.07.1949 geborene nichteheliche Kinder (wenn sich der Erbfall vor dem 29.5.2009 ereignete)

(Beitrag zum Beschluss des BGH v. 12.07.2017, IV ZB 6/15)
Bis zum 30. Juni 1970 galt ein nichteheliches Kind mit seinem Vater als nicht verwandt (§ 1589 Abs.2 BGB a.F.). Mit dem Zweiten Erbrechtsgleichstellungsgesetz hat der deutsche Gesetzgeber diese Diskriminierung nichtehelicher Kinder für Erbfälle ab dem 29. Mai 2009 aufgehoben. Für alle Erbfälle vor diesem Datum gilt aber weiterhin der Ausschluss erbrechtlicher Beziehungen zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem Vater sowie den Verwandten väterlicherseits.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sah dieses Jahr in drei Erbfällen, die sich vor dem 29.5.2009 ereignet haben und in den vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kindern Erbrechte nach ihrem Vater versagt wurden, eine Verletzung der Europäischen Menschrechtskonvention. Der Bundesgerichtshof musste in einer aktuellen Entscheidung darauf reagieren.

Im konkreten Fall starb der Vater der 1928 geborenen Erbprätendentin (Tochter) im Jahr 1993. Nach dem zweiten Weltkrieg lebte die Tochter in der DDR, der spätere Erblasser auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Kontakte waren des beiden während dieser Zeit nicht möglich. Erst im Jahr 1991 konnte die Tochter ihren Vater in einem Altenheim wiederfinden und sich um ihn kümmern. Ende 2009 beantragte die Erbprätendentin einen Alleinerbschein nach ihrem 1993 verstorbenen Vater. Diesem Antrag blieb in den ersten beiden Instanzen der Erfolg versagt. Vor dem Bundesgerichtshof hatte die Erbprätendentin im Juli 2017 endlich Erfolg.

Der Bundesgerichtshof befand, dass die Tochter nach der neueren Rechtsprechung des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ihren Rechten aus dem Diskriminierungsverbot und dem Schutz des Eigentums (aus der Europäischen Menschenrechtskonvention) verletzt würde, wenn man ihr Erbrecht nach ihrem verstorbenen Vater ausschließen würde. Insoweit verstoße das deutsche Recht gegen die Europäischen Menschenrechtskonvention. In dieser konkreten Konstellation sei die Vorschrift des § 1589 Abs.2 BGB a.F., wonach die Erbprätendentin als mit ihrem Vater nicht als verwandt gelte, nicht anzuwenden. Der Bundesgerichtshof stellt auch darauf ab, dass Herausgabeansprüche der Erbprätendentin gegen die Besitzer der Nachlassgegenstände noch nicht verjährt seien. Die einschlägige Verjährungsfrist beträgt 30 Jahre.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs führt aber nicht zu einem Erbrecht aller vor dem 01.07.1949 geborener nichtehelicher Kinder für Erbfälle vor dem 29.05.2009. Vielmehr müssen mehrere atypische Besonderheiten zusammentreffen: ein DDR-Bezug, eine tatsächliche Nähebeziehung zwischen nichtehelichem Kind und Vater und das Fehlen anderer naher gesetzlicher Erben. Eine Versagung erbrechtlicher Ansprüche gerade wegen der Nichtehelichkeit des Abkömmlings muss sich nach den Umständen des Einzelfalles als unverhältnismäßig erweisen.