Keine Verwirkung des Rechts zum Widerruf trotz vollständiger Abwicklung des Darlehensvertrages und aus wirtschaftlichen Motiven des Darlehensnehmers

OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 27.01.2016– 17 U 16/15 (nicht rechtskräftig)
Leitsätze:
1. Die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV besteht nach der Rechtsprechung grundsätzlich nur dann, wenn ein Formular verwendet wird, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a. F. sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht (vgl. BGH v. 10. 2. 2015 – II ZR 163/14, Rz. 8; BGH v. 18. 3. 2014 – II ZR 109/13, ZIP 2014, 913, Rz. 15 m. w. N.)

2. Der Senat neigt zu der Annahme, dass durch die Anbringung einer Fußnote, deren Text „Bitte Frist im Einzelfall prüfen“ sich zudem außerhalb der Umrandung befindet, gerade keine inhaltliche Bearbeitung des Textes stattfinden sollte, so dass diese einem Vertrauensschutz im Zweifel noch nicht entgegensteht. Soweit Ziffer 9 der Gestaltungshinweise der Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV vorsieht, dass für das Vorliegen eines finanzierten Geschäfts mehrere Alternativen der Belehrung zur Verfügung stehen, weicht eine Bank im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Gestaltung der Widerrufsbelehrung durch die von ihr bearbeiteten Gestaltungshinweise unter Verlust des Vertrauensschutzes des § 14 BGB-InfoV inhaltlich von der vorgesehenen Gestaltung ab, wenn sie ohne das Vorliegen eines finanzierten Geschäfts bei mehreren dafür zur Verfügung stehenden Alternativen der Belehrung diese ungeachtet des Inhalts der vorgegebenen Gestaltungshinweise verwendet.

3. Die Erklärung eines Widerrufs zwei Monate nach Rückführung des Darlehens und Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung ist weder verwirkt noch rechtsmissbräuchlich. Indem ein Verbraucher das Widerrufsrecht ohne besondere Begründung ausüben kann, liegt auch dann kein Rechtsmissbrauch vor, wenn der Verbraucher – wie hier – für sich keinen Übereilungsschutz in Anspruch zu nehmen gedenkt, sondern aus dem Widerruf einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen will. (amtliche Leitsätze)

Gründe:
I. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückzahlung eines Teilbetrags zweier von ihm gezahlter Vorfälligkeitsentschädigungen nach dem Widerruf zweier Darlehensverträge.

Der Kläger schloss als Verbraucher mit der Beklagten im Juni 2007 einen Darlehensvertrag über ein Darlehen im Nennbetrag von 66.500,- € bei einer Zinsfestschreibung bis zum 30.04.2018. Diesem Darlehensvertrag war eine Widerrufsbelehrung beigefügt. In Zusammenhang mit der Veräußerung der finanzierten Immobilie löste der Kläger das Darlehen im Januar 2014 durch am 07.01.2014 erfolgte Zahlung einer von der Beklagten berechneten Vorfälligkeitsentschädigung i. H. v. 9.072,33 € ab.

Der Kläger schloss als Verbraucher im Juni 2007 ebenfalls zur Finanzierung der Immobilie mit der Beklagten einen weiteren Darlehensvertrag über einen Darlehensbetrag i. H. v. 333.500,- € bei entsprechender Zinsfestschreibung bis zum 30.04.2018. Auch dieses Darlehen löste der Kläger durch Zahlung einer von der Beklagten begehrten Vorfälligkeitsentschädigung am 15.01.02014 i. H. v. 46.524,85 € in Zusammenhang mit der Veräußerung der Immobilie ab.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 4. 3. 2014 ließ der Kläger in seinem Namen seine Erklärungen zum Abschluss der oben dargestellten Darlehensverträge widerrufen.

Der Kläger hat vorgetragen, dass sein Widerrufsrecht mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung nach § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB noch nicht erloschen sei. Die Beklagte könne sich auch nicht auf die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV berufen, da die streitgegenständlichen Widerrufsbelehrungen der Beklagten sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung nicht vollständig der Musterwiderrufsbelehrung entsprächen.

Der Kläger begehrt die Rückzahlung der auf den einen Darlehensvertrag gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung i. H. v. 9.072,33 € sowie eine Teilrückzahlung i. H. v. 12.000,- € der auf den weiteren Darlehensvertrag gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung sowie Herausgabe der Nutzungen, wobei eine Vermutung dafür spreche, dass die Beklagte Nutzungen aus den geleisteten Vorfälligkeitsentschädigungen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins gezogen habe.

Das LG Wiesbaden hat mit Urteil vom 18. 12. 2014 die Beklagte entsprechend den Anträgen des Klägers zur Rückzahlung der geltend gemachten Vorfälligkeitsentschädigung verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

II. Dem Kläger steht aufgrund des von ihm erklärten Widerrufs seiner auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Vorfälligkeitszahlungen gem. § 346 Abs. 1, 2 i. V. m. § 495 Abs. 1, § 355 BGB in der bis zum 10. 6. 2010 gültigen Fassung (a. F.) zu.

Der von dem Kläger geltend gemachte Rückgewähranspruch gem. § 346 Abs. 1 i. V. m. § 495 Abs. 1, § 355 BGB a. F. ist grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt einer nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung gerechtfertigt.

Das LG hat zutreffend erkannt, dass dem Kläger, welcher als Verbraucher am Abschluss eines Darlehensvertrags beteiligt war, ein Widerrufsrecht nach §§ 495, 491 BGB a. F. anlässlich seiner Widerrufserklärung am 4. 3. 2014 zustand, da die zweiwöchige Widerrufsfrist des § 355 Abs. 1 BGB a. F. gem. § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB a. F. noch nicht abgelaufen war. Der Widerspruch war auch dann noch als rechtzeitig erklärt zu behandeln, da der Lauf der zweiwöchigen Widerrufsfrist gem. § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung zuvor nicht in Gang gesetzt worden ist. Insoweit beginnt nach § 355 Abs. 2 S. 1 BGB a. F. die Widerrufsfrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem dem Verbraucher eine deutlich gestaltete Belehrung über sein Widerrufsrecht, die ihm entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels seine Rechte deutlich macht, in Textform mitgeteilt worden ist, welche auch Namen und Anschriften desjenigen, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, und einen Hinweis auf den Fristbeginn der Regelung des § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F. enthält.

Das LG hat weiterhin zutreffend dargelegt, dass die Widerrufsbelehrung insofern zu beanstanden ist, als sie die Formulierung enthält „Die Frist beginnt frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung“. Diese Formulierung wird nämlich nach der Rechtsprechung des BGH den Maßstäben des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a. F. und dem darin enthaltenen Deutlichkeitsgebot nicht gerecht. Denn eine Belehrung, die sich hinsichtlich des Beginns der Widerrufsfrist auf die Aussage beschränkt, dass die Frist frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung beginnt, ist – wie durch die Rechtsprechung des BGH inzwischen geklärt ist – nicht in der erforderlichen Weise eindeutig und umfassend, weil die Verwendung des Wortes „frühestens“ es dem Verbraucher nicht ermöglicht, den Fristbeginn ohne Weiteres zu erkennen (BGH, Urt. v. 15. 8. 2012 – VIII ZR 378/11, ZIP 2012, 1918 m. w. N.; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 1. 10. 2014 – 17 U 138/14, juris Rz. 25 m. w. N.; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 26. 8. 2015 – 17 U 202/14). Dieser vermag der Verbraucher lediglich zu entnehmen, dass die Widerrufsfrist „jetzt oder später“ beginnen, der Beginn des Fristlaufs also noch von weiteren Voraussetzungen abhängen soll. Der Verbraucher wird damit darüber im Unklaren gelassen, um welche etwaigen Umstände es sich dabei handelt (BGH, Urt. v. 9. 12. 2009 – VIII ZR 219/08, ZIP 2010, 734 = WM 2010, 721, Rz. 13, 15,; BGH, Urt. v. 29. 4. 2010 – I ZR 66/08, ZIP 2010, 2249 = WM 2010, 2126, Rz. 21; BGH, Urt. v. 1. 12. 2010 – VIII ZR 82/10, ZIP 2011, 178 = WM 2011, 86, Rz. 12; BGH, Urt. v. 2. 2. 2011 – VIII ZR 103/10, ZIP 2011, 572 = WM 2011, 474, Rz. 14; BGH, Urt. v. 28. 6. 2011 – XI ZR 349/10, ZIP 2011, 1858 = WM 2011, 1799, Rz. 34; BGH, Urt. v. 1. 3. 2012 – III ZR 83/11, NZG 2012, 427, Rz. 15). Indem diese Belehrung den Verbraucher nicht eindeutig über den Beginn der Widerrufsfrist aufklärt, setzt sie den Verbraucher nicht in der gebotenen Weise in die Lage, den Fristbeginn ohne Weiteres zu erkennen, und verstößt damit gegen das Deutlichkeitsgebot (BGH, Urt. v. 17. 1. 2013 – III ZR 145/12, Rz. 10 m. w. N.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 14. 4. 2015 – 17 U 57/14, ZIP 2015, 1011 = BeckRS 2015, 09345 = juris Rz. 22 m. w. N.).

Zudem hat das LG weiterhin zutreffend ausgeführt, dass sich die Beklagte im vorliegenden Fall auch nicht auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes im Hinblick auf die Musterbelehrung nach Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV in der seinerzeit maßgeblichen Fassung berufen kann. Ein Vertrauensschutz zu Gunsten der Beklagten als Verwenderin der Widerrufsbelehrung ist nur dann anzunehmen, wenn das von der Beklagten verwendete Formular dem Muster der maßgeblichen Anlage zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht (BGH ZIP 2011, 1858 = WM 2011, 1799, Rz. 37; OLG Köln, Urt. v. 23. 1. 2013 – 13 U 217/11, juris Rz. 21, jew. m. w. N.). Die Schutzwirkung des § 14 Abs. 1 BGB-InfoV besteht nach der Rechtsprechung grundsätzlich nur dann, wenn ein Formular verwendet wird, das dem Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV a. F. sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht (vgl. BGH v. 10. 2. 2015 – II ZR 163/14, Rz. 8; BGH v. 18. 3. 2014 – II ZR 109/13, ZIP 2014, 913, Rz. 15; BGH ZIP 2011, 178, Rz. 15). Greift der Unternehmer in den Mustertext selbst ein, kann er sich schon deshalb unabhängig vom konkreten Umfang der Änderung auf eine etwa mit der unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung nicht mehr berufen (BGH v. 1. 3. 2012 – III ZR 83/11, Rz. 17). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Veränderungen wesentlich sind oder sich negativ auf Verständlichkeit der Belehrung auswirken. Maßgeblich ist allein, ob der Unternehmer den Text der Musterbelehrung bei der Abfassung der Widerrufsbelehrung einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzogen hat (vgl. BGH v. 10. 2. 2015 – II ZR 163/14, Rz. 8; BGH ZIP 2014, 913, Rz. 18). Zwar bleiben nach der Rechtsprechung geringfügige Anpassungen, wie etwa diejenige der Formulierung des Fristbeginns, an das Gesetz (vgl. hierzu BGH v. 20. 11. 2012 – II ZR 264/10, juris Rz. 6) möglich (vgl. auch OLG Frankfurt/M. v. 29. 12. 2014 – 23 U 80/14, juris Rz. 17), doch liegt eine solche geringfügige Anpassung hier nicht vor. Demgemäß kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Abweichung von der Widerrufsbelehrung betreffe nur Nuancen ohne erkennbare eigentliche Abweichung hinsichtlich des bearbeiteten Textes. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall.

Die verwendete Widerrufsbelehrung enthält zunächst abweichend von dem Mustertext einen Zusatz in der Überschrift sowie zwei Fußnotenverweise und einen Klammerzusatz, die in dem Mustertext nicht enthalten sind. Es kann letztlich vorliegend dahingestellt bleiben, inwiefern hierin eine inhaltliche Bearbeitung und damit Abweichung von der in Anlage 2 zur § 14 BGB-InfoV vorgesehenen Musterbelehrung liegt. Allerdings neigt der Senat zu der Annahme, dass durch die Anbringung der Fußnote 2, deren Text sich zudem außerhalb der Umrandung befindet, gerade keine inhaltliche Bearbeitung des Textes stattfinden sollte, so dass diese einem Vertrauensschutz noch nicht entgegensteht. Während diese damit nicht mehr Bestandteil der eigentlichen Widerrufsbelehrung ist, stellt sie zudem keine inhaltliche Änderung dar, da sie lediglich klarstellt, dass die Frist im Einzelfall zu prüfen ist, und damit weder die Angaben zu der Frist selbst oder zu deren Beginn und Lauf inhaltlich einer Bearbeitung unterzieht oder ändert (ebenso OLG Bamberg, Beschl. v. 1. 6. 2015 – 6 U 13/15, juris Rz. 83, 84; a. A.: OLG Nürnberg, Urt. v. 11. 11. 2015 – 14 U 2439/14, juris Rz. 31; OLG München, Urt. v. 21. 10. 2013 – 19 U 1208/13; OLG Brandenburg, Urt. v. 17. 10. 2012 – 4 U 194/11). Dies gilt auch für die 6Fußnote 1 und den Zusatz in der Überschrift, da die Überschrift selbst nicht Bestandteil der Belehrung ist (vgl. BGH, Urt. v. 9. 11. 2011 – I ZR 123/10, ZIP 2012, 981).

Allerdings sieht der Senat in dem dritten Absatz, der mit „Finanzierte Geschäfte“ überschrieben ist, eine inhaltliche Änderung und Abweichung von der Musterbelehrung. Zunächst ergibt sich klar aus dem Gestaltungshinweis Nr. 9 des damaligen Musters, dass diese Passage entfallen kann, wenn ein verbundenes Geschäft nicht vorliegt (vgl. BGH ZIP 2014, 913). Dies bedeutet, dass der Gesetzgeber grundsätzlich eine umfassende Belehrung für notwendig erachtet hat, dem Verwender jedoch freigestellt hat, auch auf diese Passage zu verzichten, wenn kein finanziertes Geschäft vorliegt. Hiervon hat die Beklagte aber keinen Gebrauch gemacht, sondern diesen Absatz dennoch aufgenommen, auch wenn kein verbundenes Geschäft i. S. d. § 358 Abs. 3 Satz 3 BGB vorliegt. Weiterhin sieht Ziffer 9 der Gestaltungshinweise der Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV vor, dass für das Vorliegen eines finanzierten Geschäfts mehrere Alternativen der Belehrung zur Verfügung stehen und zwar je nachdem, ob für das finanzierte Geschäft oder den Darlehensvertrag belehrt werden soll und um welche Art eines verbundenen Geschäfts es sich handelt, bspw. ob es um den finanzierten Erwerb eines Grundstücks geht. Vorliegend hat die Beklagte allerdings den Gestaltungshinweis Ziffer 9 des Musters betreffend die Hinweise für finanzierte Geschäfte missachtet, wonach im Fall des finanzierten Grundstückserwerbs Satz 2 der allgemeinen Hinweise zwingend durch spezielle Hinweise zu ersetzen ist. Denn statt Satz 2 zu ersetzen, hat die Beklagte die Belehrung betreffend den finanzierten Grundstückserwerb hinter Satz 2 in die vollständig beibehaltenen Hinweise für finanzierte Geschäfte eingefügt. Zudem hat sie die in den Gestaltungshinweisen vorgegebene Musterformulierung inhaltlich verändert, indem sie die einleitende Formulierung „Dies ist nur anzunehmen“ durch die abweichende und längere Formulierung „Bei einem finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen“ ersetzt hat. Damit ist sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Gestaltung der Widerrufsbelehrung durch die von ihr bearbeiteten Gestaltungshinweise inhaltlich von der vorgesehenen Gestaltung abgewichen, so dass sie sich auf den Vertrauensschutz des § 14 BGB-InfoV nicht mehr berufen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Veränderungen wesentlich sind oder sich negativ auf Verständlichkeit der Belehrung auswirken. Maßgeblich ist allein, ob der Unternehmer den Text der Musterbelehrung bei der Abfassung der Widerrufsbelehrung einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung unterzogen hat (vgl. BGH v. 10. 2. 2015 – II ZR 163/14, juris Rz. 8; BGH ZIP 2014, 913, Rz. 18). Gerade dies ist vorliegend erfolgt, da die Beklagte durch Missachtung des Gestaltungshinweises Ziffer 9 und durch Umformulierung des vorgegebenen Mustertextes in das zur Verfügung gestellte Muster inhaltlich eingegriffen hat. Dann kann sie sich auf die mit einer unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung nicht mehr berufen, unabhängig davon, ob der geänderte Teil der Musterbelehrung im konkreten Fall einschlägig ist (BGH ZIP 2011, 1858, Rz. 39; a. A. OLG Bamberg, Beschl. v. 1. 6. 2015 – 6 U 13/15, juris Rz. 83, 84).

Der Kläger hat sein Widerrufsrecht auch nicht verwirkt. Die Verwirkung der Widerrufsmöglichkeit schließt lediglich eine illoyal verspätete Inanspruchnahme eines Schuldners aus. Unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) setzt sie, insoweit der Verjährung ähnlich, eine zeitliche Grenze für die Rechtsausübung. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Für das Umstandsmoment ist maßgebend, dass die Beklagte bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten der Klägerin entnehmen durfte, dass diese ihre Rechte nicht mehr geltend machen werde, und sich deshalb darauf eingerichtet hat, so dass die verspätete Geltendmachung daher mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr vereinbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 18. 10. 2004 – II ZR 352/02, ZIP 2004, 2319 = juris Rz. 23 m. w. N.). Dabei besteht zwischen diesen Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf eine Wechselwirkung insoweit, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH, Urt. v. 19. 10. 2005 – XII ZR 224/03, juris Rz. 22 f. m. w. N.).

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob hier das Zeitmoment erfüllt ist, indem der Kläger das Widerrufsrecht etwa sieben Jahre nach seiner auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Erklärung und zwei Monate nach der Zurückführung der Darlehen durch Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung ausgeübt hat, da es jedenfalls an dem zusätzlich notwendigen Umstandsmoment bezüglich der bereits abgewickelten Darlehensverträge fehlt. Letzteres ist anzunehmen, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde, sich deshalb hierauf eingerichtet hat, und die verspätete Geltendmachung daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt (BGH ZIP 2004, 2319 = juris Rz. 23; BGH, Urt. v. 11. 10. 2012 – VII ZR 10/11, Rz. 20 f.; BGH, Urt. v. 20. 7. 2010 – EnZR 23/09, ZIP 2010, 1959, Rz. 20; BGH, Urt. v. 29. 1. 2013 – EnZR 16/12, Rz. 13). Gerade im vorliegend betroffenen Anwendungsbereich von Verbraucherschutzrechten und damit zusammenhängenden Widerrufsrechten sind strenge Anforderungen zu stellen. Die mit der unterlassenen oder nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verbundenen Nachteile hat grundsätzlich der Geschäftspartner des Verbrauchers zu tragen. Die bloße Dauer zwischen dem widerrufenen Geschäft und dem Widerruf reicht dafür nicht aus (BGH ZIP 2004, 2319 = juris Rz. 23 f.).

Vorliegend steht außer der vollständigen Rückführung des Darlehens kein Verhalten des Klägers im Raum, aus dem die Beklagte bei objektiver Betrachtung den Schluss ziehen durfte, der Kläger werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Die jahrelange unbeanstandete Durchführung des Vertrags allein reicht aber ebenso wenig wie die Rückführung des Darlehens aus, um von einer Verwirkung ausgehen zu können (Senat v. 26. 8. 2015 – 17 U 202/14, ZIP 2016, 413 (LS, nachstehend) m. w. N.; Müggenborg/Horbach, NJW 2015, 2145, 2149; a. A. OLG Frankfurt/M., Urt. v. 7. 8. 2015 – 19 U 5/15, juris Rz. 59 – Nichtzulassungsbeschwerde anhängig). Außer der seit der vollständigen Rückführung des Darlehens verstrichenen Zeit steht damit kein Verhalten des Klägers im Raum, aus dem die Beklagte bei objektiver Betrachtung den Schluss ziehen durfte, der Kläger würde sein Recht nicht mehr geltend machen. Überdies hat die Beklagte auch nicht vorgetragen, dass sie sich auf die Nichtausübung des Widerrufsrechts eingerichtet hätte und ihr ein unzumutbarer Nachteil entstünde, falls der Widerruf Wirksamkeit entfaltete. Schließlich wäre die Beklagte auch nicht schutzwürdig. Nach § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB a. F. erlischt das Widerrufsrecht nicht, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Derjenige, der eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung verwendet, muss mithin regelmäßig mit der Ausübung des Widerrufsrechts rechnen (vgl. BGH, Urt. v. 7. 5. 2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Rz. 39, dazu EWiR 2014, 555 (Adenauer); OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 2. 9. 2015 – 23 U 24/15, juris Rz. 42). Die bloße Hoffnung der Beklagten, auf ihr eigenes Schweigen hin würde auch der Kläger die Anlageentscheidung im Laufe der Zeit vielleicht auf sich beruhen lassen, begründet die Schutzwürdigkeit der Beklagten jedenfalls nicht (Senatsurt. v. 26. 8. 2015 – 17 U 202/14, juris Rz. 36). Sonstige begründete Umstände, aufgrund derer die Beklagte im konkreten Fall nicht mehr mit einem Widerruf nach der bereits erfolgten vollständigen Rückzahlung des Darlehensvertrags rechnen musste, liegen nicht vor. Da für beide Vertragsparteien das Schuldverhältnis abgewickelt und erledigt war, vermag zwar die Argumentation des Klägers nicht zu überzeugen, die Beklagte habe es in Kenntnis der Unwirksamkeit ihrer Widerrufsbelehrung selbst in den Händen gehabt, nachträglich durch eine erneute Widerrufsbelehrung die Widerrufsfrist von zwei Wochen in Gang zu setzen. Nach einer längst erfolgten Abwicklung des Darlehensvertrags kann es nach Treu und Glauben von einer finanzierenden Bank nicht mehr erwartet werden, sämtliche zurückliegenden Darlehensverträge zu überprüfen und durch eine nachträgliche Widerrufsbelehrung einen vom Kunden bis dahin nicht geltend gemachten Rückabwicklungsmechanismus in Lauf zu setzen. Allerdings kann sie dann auch kein schutzwürdiges Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, nicht mehr mit einer Rückabwicklung rechnen zu müssen (Senat v. 26. 8. 2015 – 17 U 202/14, juris Rz. 37). Dabei ist auch unmaßgeblich, aus welchen Gründen der Kläger nunmehr von seinem Widerrufsrecht Gebrauch gemacht hat. Denn während der Vertrauenstatbestand, den das Umstandsmoment voraussetzt, nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden kann (BGH, Urt. v. 23. 1. 2014 – VII ZR 177/13, Rz. 14; BGH, Urt. v. 9. 10. 2013 – XII ZR 59/12, ZVI 2014, 50, Rz. 11 m. w. N.), kommt auch der Tatsache, aus welchen Gründen der Kläger nunmehr eine Rückabwicklung anstrebt, keine maßgebliche Bedeutung zu, da es gerade bei der Möglichkeit des Widerrufs der Erklärung nicht auf die dafür maßgebliche Motivation ankommt (Senat v. 26. 8. 2015 – 17 U 202/14, juris Rz. 35).

Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt sich die Ausübung des Widerrufs durch den Kläger auch nicht als unzulässige Rechtsausübung dar. Dem Kläger ist insbesondere nicht vorzuwerfen, sich mit der Erklärung des Widerrufs in einen mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht in Übereinstimmung zu seinem früheren Verhalten stehenden Widerspruch gesetzt zu haben. Allein der Umstand, dass ein Berechtigter bis zur Ausübung eines ihm eingeräumten Gestaltungsrechts den bestehenden Vertrag anerkennt, kann der Geltendmachung von Rechten nach der Ausübung grundsätzlich nicht entgegenstehen (OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 2. 9. 2015 – 23 U 24/15, juris Rz. 42), da andernfalls die vom Gesetzgeber in § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB a. F. getroffene Regelung in ihr Gegenteil verkehrt würde (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 17. 3. 2015 – 31 U 40/15, juris Rz. 7). Widersprüchliches Verhalten ist nach der Rechtsordnung grundsätzlich zulässig und nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (BGHZ 201, 101, Rz. 40). Eine solche vorrangige Schutzwürdigkeit kann ein Unternehmer nicht für sich beanspruchen, wenn er es – so wie hier – versäumt hat, den Verbraucher über sein Widerrufs- bzw. Widerspruchsrecht zu belehren (vgl. BGHZ 201, 101, Rz. 40).

Die Geltendmachung des Widerrufsrechts ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie zu einem Zweck erfolgte, der der Zwecksetzung der Norm, die das Widerrufsrecht grundsätzlich eröffnet, zuwiderliefe. Zwar liegen Sinn und Zweck eines Widerrufsrechts grundsätzlich darin, dem Kunden die Möglichkeit einzuräumen, die Sinnhaftigkeit des von ihm abgeschlossenen Vertrags im Nachhinein noch einmal zu überdenken und auf eine voreilige Entschließung überprüfen zu können. Dennoch kann von einem Rechtsmissbrauch auch dann nicht ausgegangen werden, wenn der Verbraucher – wie hier – für sich keinen Übereilungsschutz in Anspruch zu nehmen gedenkt, sondern aus dem Widerruf einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen will (vgl. Senatsurt. v. 26. 8. 2015 – 17 U 202/14, juris Rz. 35; a. A. OLG Hamburg, Urt. v. 2. 4. 2015 – 13 U 87/14, BeckRS 2015, 17033). Nach der gesetzlichen Regelung kann ein Verbraucher das Widerrufsrecht ohne besondere Begründung ausüben (vgl. § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB a. F.); eine wie auch immer geartete „Gesinnungsprüfung“ findet nicht statt – und zwar weder innerhalb der Zwei-Wochen-Frist noch danach. Insofern ist es ohne Weiteres legitim, das Widerrufsrecht aus rein wirtschaftlichen Erwägungen geltend zu machen (OLG Stuttgart, Urt. v. 6. 10. 2015 – 6 U 148/14, ZIP 2015, 2211 = juris Rz. 44; Müggenborg/Horbach, NJW 2015, 2145, 2148; a. A. OLG Hamburg, Urt. v. 2. 4. 2015 – 13 U 87/14, BeckRS 2015, 17033, Rz. 18 ff.).

Aufgrund des wirksam erklärten Widerrufs des Vertrags sind nach § 357 Abs. 1 Satz 1, § 346 Abs. 1 BGB a. F. die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Vorliegend sind somit – wie von dem Kläger beantragt – die von ihm gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen zurückzugewähren.

Weiterhin sind gem. § 346 Abs. 1, 2 BGB i. V. m. § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB auch die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Unstreitig ist die Vorfälligkeitsentschädigung i. H. v. 9.072,33 € am 7. 1. 2014 der Beklagten und der weitere Betrag der Vorfälligkeitsentschädigung i. H. v. 46.524,85 € am 15. 1. 2014 der Beklagten zugegangen, so dass diese jeweils ab dem 8. 1. 2014 bzw. dem 16. 1. 2014 hieraus Nutzungen ziehen konnte. Die Höhe der von der Beklagten gezogenen Nutzungen ist, wenn – wie hier – hinreichende Angaben zur Berechnung der durchschnittlichen Wiederanlagezinsen fehlen, gem. § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen. Dabei sind das allgemeine Zinsniveau und seine Veränderungen in dem Zeitraum, in dem der rechtsgrundlos erlangte Betrag zur Anlage zur Verfügung stand, zu berücksichtigen. Dies kann durch Anknüpfung an den jeweiligen Basiszinssatz und einen Aufschlag von 5 Prozentpunkten erfolgen, denn was für die Berechnung des Verzugsschadens nach § 288 Abs. 1 BGB zu Gunsten einer Bank gilt, muss auch bei der Schätzung von Nutzungszinsen zu ihren Lasten gelten (vgl. BGH, Urt. v. 7. 6. 2011 – XI ZR 212/10; BGH v. 12. 5. 1998 – XI ZR 79/97, ZIP 1998, 1063 = WM 1998, 1325, 1326 f., BGH v. 14. 5. 2002 – XI ZR 148/01, juris Rz. 23). Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung darauf verweist, dass für den Verzug bei Immobiliarkrediten gem. § 497 BGB i. V. m. § 503 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB nur ein Zinssatz von 2,5 % über dem Basiszinssatz anfällt, vermag dies nicht zu überzeugen, da es sich vorliegend gerade nicht um einen Verzug eines Verbrauchers bei einem Immobiliarkredit handelt, sondern die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung, die der Bank in dieser Höhe zur Verfügung steht, um hieraus Nutzungen zu ziehen, nämlich sie gewinnbringend anzulegen oder als Dispositionskredit an Dritte zu geben. Mangels weiteren konkreten substantiierten Vortrags der Beklagten zu der Höhe der gezogenen Nutzungen erscheint vorliegend die Zugrundelegung des gesetzlichen Zinssatzes aus den obigen Gründen gerechtfertigt.