Kündigung eines Bausparvertrags durch die Bausparkasse 10 Jahre nach Zuteilungsreife

LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 17. 8. 2015, 6 O 1708/15
Leitsatz:
1. Das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gilt auch zu Gunsten eines Darlehensnehmers, der kein Verbraucher ist, insbesondere auch für Banken und Bausparkassen.

2. Ein vertraglicher Ausschluss des Kündigungsrechts ist gem. § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB bei Vertragsschluss mit einer Bausparkasse als Anstalt des öffentlichen Rechts nicht geboten.(redaktionelle Leitsätze)

Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Feststellung in Anspruch, dass zwei zwischen den Parteien geschlossene Bausparverträge nicht durch eine Kündigung der Beklagten beendet worden sind. Die Beklagte ist eine in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts betriebene Bausparkasse.

Am 30.12.1982 schloss der Kläger mit der Beklagten einen Bausparvertrag (nachfolgend: BSV 014) über eine Bausparsumme i. H. v. 110.000,- DM (entspricht 56.242,11 €). Am 29.9.1986 schloss der Kläger mit der Beklagten einen Bausparvertrag (nachfolgend: BSV 022) über eine Bausparsumme i. H. v. 50.000,- DM (entspricht 25.564,59 €). Bei beiden Bausparverträgen sollte ein Guthaben des Bausparers mit 3 % p.a. zu verzinsen sein. Für beide Bausparverträge vereinbarten die Parteien die „Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge“ der Beklagten (nachfolgend: ABB). In § 9 ABB ist bestimmt: „Die Bausparkasse kann den Bausparvertrag nicht kündigen, solange der Bausparer seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllt.“

Der Kläger erbrachte Einzahlungen auf die Bausparverträge längstens bis zum Jahr 2002. Ein Bauspardarlehen beantragte er nicht. Mit zwei Schreiben vom 27.10.2014 erklärte die Beklagte jeweils die Kündigung der Bausparverträge zum 29.5.2015. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung wies der BSV 014 ein Guthaben von ca. 48.000 €, der BSV 022 ein Guthaben von ca. 12.000 € auf. Beide Bausparverträge waren im Zeitpunkt der Kündigung seit mindestens zehn Jahren zuteilungsreif.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

I. Der Feststellungsantrag ist zulässig. …

II. Die Klageanträge sind jedoch unbegründet, da die streitgegenständlichen Bausparverträge jeweils durch die Kündigung der Beklagten nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum 29.5.2015 beendet wurden.

1. Die Beklagte war nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Kündigung der Bausparverträge berechtigt.

a) Nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann der Darlehensnehmer einen Darlehensvertrag mit gebundenem Sollzinssatz nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang – oder nach der letzten Vereinbarung über die Zeit der Rückzahlung oder den Sollzinssatz, falls diese nach dem vollständigen Empfang erfolgte – unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten ganz oder teilweise kündigen.

b) Das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gilt auch zu Gunsten eines Darlehensnehmers, der kein Verbraucher ist, insbesondere auch für Banken und Bausparkassen.

Eine Einschränkung des Kündigungsrechts nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus den Gesetzesmaterialien (vgl. Staudinger/Mülbert, BGB, 2010, § 488 Rz. 549). Vielmehr ergibt sich aus einem Vergleich von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB (nunmehr aufgehoben) und § 489 Abs. 1 Nr. 3 (nunmehr § 489 Abs. 1 Nr. 2) BGB in der bis zum 10.6.2010 geltenden Fassung (nachfolgend: a. F.), dass der Gesetzgeber zwar für das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB a. F. die Verbrauchereigenschaft des Darlehensnehmers vorausgesetzt hat („wenn das Darlehen einem Verbraucher gewährt und nicht durch ein Grund- oder Schiffspfandrecht gesichert ist ...“), für das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 3 a. F. (nunmehr § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB) hingegen gerade nicht („in jedem Fall nach Ablauf von zehn Jahren nach dem vollständigen Empfang“).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Überschrift zu Titel 3 („Darlehensvertrag; Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher“), unter dem § 489 BGB aufgeführt ist. In dieser Titelüberschrift bezieht sich die Verbrauchereigenschaft nicht auf den erstgenannten Begriff des Darlehensvertrags, sondern auf die weiteren Begriffe Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträge. Dementsprechend ist § 489 BGB auch nicht mit den §§ 491 ff. BGB unter der Überschrift zu Kapitel 2 („Besondere Vorschriften für Verbraucherdarlehensverträge“) aufgeführt, sondern in Kapitel 1 („Allgemeine Vorschriften“). Auch aus dieser Systematik ergibt sich zwanglos, dass die in § 489 BGB geregelten Kündigungsrechte nicht nur für Verbraucher als Darlehensnehmer gelten sollen.

c) Zutreffenderweise gehen beide Parteien davon aus, dass die Beklagte als Bausparkasse beim Bausparvertrag in der Zeit vor der Gewährung eines Bauspardarlehens als Darlehensnehmer und der Kläger als Bausparer als Darlehensgeber anzusehen ist (Staudinger/Mülbert, a. a. O., § 488 Rz. 539 m.w. N.). Insoweit handelt es sich auch um einen Darlehensvertrag mit gebundenem Sollzinssatz, nachdem die Beklagte verpflichtet sein sollte, das Bausparguthaben fest mit 3 % p.a. zu verzinsen.

d) Mit Zuteilungsreife, die unstreitig spätestens jeweils zehn Jahre vor Erklärung der Kündigung erstmalig eingetreten ist, ist von einem „vollständigen Empfang“ des Darlehens i. S. d. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB durch die Beklagte auszugehen (LG Mainz ZIP 2015, 470 = WM 2015, 181 = juris Rz. 15; Staudinger/Mülbert, a. a. O., § 488 Rz. 549). Dies folgt aus der Struktur des Bausparvertrags, dessen Zweck vorrangig darauf gerichtet ist, dem Bausparer nach der Erbringung ausreichender Sparleistungen den Zugriff auf ein darüber hinausgehendes, zinsgünstiges Darlehen zu ermöglichen (vgl. LG Mainz ZIP 2015, 470 = WM 2015, 181 = juris Rz. 12). Dieser Zugriff steht dem Bausparer ab erstmaligem Eintritt der Zuteilungsreife zu. Daher liegt es nahe, die Sparleistungen, die der Bausparer zur Erreichung der Zuteilungsreife erbringen muss, als den vollständigen Gegenstand des Darlehens anzusehen, das der Bausparer der Bausparkasse während der Ansparphase gewährt. Auch wenn der Bausparer nach Erreichen der Zuteilungsreife das Bauspardarlehen nicht in Anspruch nehmen muss und weitere Sparleistungen erbringen kann, ändert dies nichts daran, dass die Bausparkasse das (mit Abschluss des Bausparvertrags ins Auge gefasste, zur planmäßigen Erreichung der Zuteilungsreife notwendige) Darlehen des Bausparers mit Zuteilungsreife erhalten hat, weshalb von einem vollständigen Empfang der Darlehensvaluta auszugehen ist. Dies führt gleichermaßen dazu, dass ein Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB während der Ansparphase nicht entstehen kann und es daher ausgeschlossen ist, dass die Bausparkasse durch eine Kündigung nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB das Recht des Bausparers zur Erlangung des Bauspardarlehens vereitelt.

e) Die Beklagte hat die Kündigung der Verträge unstreitig mit den beiden Schreiben vom 27.10.2014 gegenüber dem Kläger erklärt. Die Kündigungsfrist von sechs Monaten (zum 29.5.2015) ist eingehalten.

2. Ein genereller Ausschluss des Kündigungsrechts aus § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB ergibt sich weder aus den Besonderheiten des Bausparvertrags noch aus sonstigen Erwägungen.

a) Da der Bausparvertrag seinem Wesen nach auf die Verschaffung eines zinsgünstigen Darlehens und nicht primär auf eine dauerhafte Geldanlage gerichtet ist, spricht nichts dagegen, der Bausparkasse zehn Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife ein Kündigungsrecht zuzugestehen (vgl. LG Mainz ZIP 2015, 470 = WM 2015, 181 = juris Rz. 12 ff.).

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Scala-Rechtsprechung des LG Ulm (ZIP 2015, 463 = WM 2015, 826, dazu EWiR 2015, 135 (Berger)). In den dort betroffenen Fällen war nach der Konstruktion der Scala-Sparverträge im Zeitpunkt der jeweiligen Kündigung gerade noch nicht von einem vollständigen Empfang des Darlehens auszugehen, weshalb ein Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht bestehen konnte (vgl. LG Ulm ZIP 2015, 463 = WM 2015, 826 = juris Rz. 125).

3. Das Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB war auch nicht vertraglich ausgeschlossen.

a) Dabei kann dahinstehen, ob sich die Bestimmung in § 9 ABB auch auf ein Kündigungsrecht nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB beziehen soll.

b) Denn ein vertraglicher Ausschluss des Kündigungsrechts wäre unwirksam.

aa) Nach § 489 Abs. 4 Satz 1, 2 BGB kann das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dann durch Vertrag ausgeschlossen oder erschwert werden, wenn der Darlehensnehmer der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land, eine Gemeinde, ein Gemeindeverband, die EG oder ausländische Gebietskörperschaften ist.

bb) Die Beklagte ist zwar als Anstalt des öffentlichen Rechts eine juristische Person des öffentlichen Rechts, jedoch keine der in § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB genannten Gebietskörperschaften.

cc) Auch eine analoge Anwendung des § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB auf die Beklagte ist nicht geboten (vgl. Staudinger/Mülbert, a. a. O., § 489 Rz. 74; Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl., § 489 Rz. 13; Rohe, in: BeckOK BGB, Stand: 1.5.2015, § 489 Rz. 19; a.A. wohl MünchKomm-K.P. Berger, BGB, 6. Aufl., § 489 Rz. 21).

Nach dem Wortlaut und der systematischen Fassung des Gesetzes spricht nichts dafür, dass in § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB generell juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Darlehensnehmer erfasst sein sollten. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber erkennbar die Mühe gemacht, die Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts, auf die der Ausschluss nach § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB anzuwenden sein soll, ausdrücklich aufzuzählen. Diese Aufzählung hat der Gesetzgeber im Zuge der Schuldrechtsreform ausdrücklich beibehalten und um die EG sowie ausländische Gebietskörperschaften erweitert. Diese enumerative Bestimmung bestimmter juristischer Personen des öffentlichen Rechts spricht dagegen, die Regelungen auf die Beklagte zu erweitern, nur weil diese in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts betrieben wird.

Welchen Zweck der Gesetzgeber mit der Auswahl der in § 489 Abs. 4 Satz 2 genannten Gebietskörperschaften verfolgt hat, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung nicht (vgl. BT-Drucks. 10/4741, S. 22). Nachdem der Gesetzgeber aber gerade darauf verzichtet hat, die Ausnahme des § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB auf sämtliche juristische Personen des öffentlichen Rechts zu erstrecken, obwohl dies unschwer möglich gewesen wäre, und diese Entscheidung auch über eine Anpassung der Vorschrift hinweg beibehalten hat, erscheint es ausgeschlossen, die Ausnahme im Wege der Analogie grundsätzlich auch auf andere öffentlich-rechtlich geprägte Erscheinungsformen der öffentlichen Hand erstrecken (so aber wohl MünchKomm-K.P. Berger, a. a. O., § 489 Rz. 21). Vielmehr ist verbindendes Element in § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB die Eigenschaft als Gebietskörperschaft, die der Beklagten offensichtlich fehlt. Dies deutet darauf hin, dass sie Ausnahme gerade auf die herkömmlich von Gebietskörperschaften ausgegebenen langläufigen Anleihen beziehen soll, die durch § 489 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht ausgeschlossen werden sollen. Dieser Zweck lässt sich auf die Beklagte als öffentlich-rechtlicher Bausparkasse gerade nicht übertragen.