Formlose Verwendung einer Grundschuld als Sicherheit für eine andere als die anfänglich gesicherte (Darlehens-)Forderung

BGH, Urteil v. 27.03.2015, V ZR 296/13
Leitsatz:
Übergibt der Grundschuldgläubiger die vollstreckbare Ausfertigung der Grundschuldbestellungsurkunde und den Grundschuldbrief samt einer Löschungsbewilligung an den Schuldner, nachdem dieser die gesicherte Schuld getilgt hat, können sich die Parteien bei Fortbestehen der Grundschuld formlos darüber einigen, dass die Vollstreckung aus dem Titel erneut möglich sein soll. Hiervon ist in aller Regel auszugehen, wenn die Parteien vereinbaren, dass die Grundschuld wiederum eine Darlehensverbindlichkeit sichern soll. (amtlicher Leitsatz)

Tatbestand:
Die Klägerin bestellte 1975 an ihrem Grundstück zwei Briefgrundschulden zu je 50.000 DM zu Gunsten der Rechtsvorgängerin der Beklagten und unterwarf sich jeweils der sofortigen Zwangsvollstreckung. Nach Tilgung der gesicherten Forderungen übersandte die Beklagte der Klägerin 1978 die vollstreckbaren Ausfertigungen der Grundschuldbestellungsurkunden sowie die Grundschuldbriefe und Löschungsbewilligungen. In den Jahren 1988, 1996 und 2001 trafen die Parteien neue Sicherungsabreden, wonach die fortbestehenden Grundschulden als Sicherheiten für weitere Darlehen dienten. Nachdem der Beklagten 2003 antragsgemäß weitere vollstreckbare Ausfertigungen der Grundschuldbestellungsurkunden erteilt worden waren, leitete sie – gestützt auf die dinglichen Rechte – die Zwangsversteigerung des Grundstücks ein.

Die Vollstreckungsgegenklage der Klägerin, mit der sie – soweit von Interesse – die Zwangsvollstreckung aus den vollstreckbaren Ausfertigungen für unzulässig erklären lassen will, hat das LG abgewiesen. Die Erlösverteilung in dem Zwangsversteigerungsverfahren fand während des Berufungsrechtszugs statt. Daraufhin hat die Klägerin einen Hilfsantrag gestellt, mit dem sie die Rechtswidrigkeit der Zwangsvollstreckung feststellen lassen will. Nur dem Hilfsbegehren hat das Berufungsgericht stattgegeben. Mit der Revision will die Beklagte auch insoweit die Abweisung der Klage erreichen.

Entscheidungsgründe:

I. …

II. Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zu Unrecht sieht das Berufungsgericht die Feststellungsklage als zulässig an.

1. Eine Feststellungsklage muss gem. § 256 Abs. 1 ZPO auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein. Hierzu können auch einzelne Rechte und Pflichten gehören, die sich aus einem Rechtsverhältnis ergeben. Daher ist es zulässig, wenn der Kläger nach der Beendigung der Zwangsvollstreckung feststellen lassen will, dass ein bestimmter Teil der materiellrechtlichen Schuld nicht bestand (BGH, Urt. v. 23.1.1985 – VIII ZR 285/83, WM 1985, 703 f.). Dagegen können nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses, reine Tatsachen oder etwa die Wirksamkeit von Willenserklärungen oder die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein (BGH, Urt. v. 3.5.1977 – VI ZR 36/74, BGHZ 68, 331, 332; BGH, Urt. v. 19.4.2000 – XII ZR 332/97, ZfIR 2001, 327 = NJW 2000, 2280, 2281; BGH, Urt. v. 7.6.2001 – I ZR 21/99, NJW 2001, 3789, dazu EWiR 2001, 971 (Schricker); BGH, Urt. v. 20.2.2008 – VIII ZR 139/07, NZM 2008, 277, Rz. 9; jew. m.w. N.). Hieran gemessen ist der Hilfsantrag seinem Wortlaut nach unzulässig, weil die Rechtswidrigkeit der Zwangsvollstreckung festgestellt werden soll.

2. Allerdings ist bei der revisionsrechtlich uneingeschränkt nachprüfbaren Auslegung des Klageantrags zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (st. Rspr., vgl. nur Senatsurt. v. 4.7.2014 – V ZR 298/13, NJW 2014, 3314, Rz. 15 m.w. N.). Dementsprechend ist der Antrag so auszulegen, dass das Bestehen von Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüchen dem Grunde nach festgestellt werden soll (vgl. BGH NJW 2001, 3789 f.). Mit diesem Rechtsschutzziel bezieht sich der Antrag zwar auf ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis. Es fehlt insoweit aber an dem gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse, weil nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin die behaupteten Bereicherungs- oder Schadensersatzansprüche nach dem Ende der Zwangsvollstreckung nicht beziffern kann (vgl. zu der sog. verlängerten Vollstreckungsgegenklage Senatsurt. v. 6.3.1987 – V ZR 19/86, ZIP 1987, 945 = NJW 1987, 3266 f., unter II 1 m.w. N., insoweit in BGHZ 100, 211 nicht abgedruckt, dazu EWiR 1987, 835 (Münzberg)). Die Feststellungsklage ist auch nicht ausnahmsweise deshalb zulässig, weil sie zu einer endgültigen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führen könnte (hierzu Senatsurt. v. 17.6.1994 – V ZR 34/92, NJW-RR 1994, 1272, 1273 m.w. N.), da unklar ist, warum und in welcher Höhe die Beklagte einen ungerechtfertigten Vorteil erlangt haben sollte.

III. Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Vor der Abweisung der Klage als unzulässig muss die Klägerin zunächst noch Gelegenheit erhalten, entweder zu ihrem Feststellungsinteresse vorzutragen oder ihren Antrag umzustellen, indem sie ihre Ansprüche beziffert (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Von der Aufhebung und Zurückverweisung kann auch nicht deshalb abgesehen werden, weil die Klage ohnehin unbegründet wäre.

1. Allerdings ist die Klage – ihre Zulässigkeit unterstellt – unbegründet, soweit sich die Klägerin darauf stützt, die Beklagte habe aus den bestehenden Titeln nicht mehr vollstrecken dürfen.

a) Schon im Ausgangspunkt unzutreffend ist die Annahme des Berufungsgerichts, infolge der Rückgabe der vollstreckbaren Ausfertigungen und der Grundschuldbriefe samt der Löschungsbewilligung werde die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen dauerhaft ausgeschlossen. Durch die Rückgabe der Titel als solche entfällt deren Vollstreckbarkeit nicht (vgl. Senatsurt. v. 21.1.1994 – V ZR 238/92, NJW 1994, 1161, 1162). Auch wenn die Parteien – wie es das Berufungsgericht annimmt – hiermit stillschweigend vereinbart haben, dass von den Titeln nicht mehr Gebrauch gemacht werden sollte, konnten sie diese Vereinbarung jederzeit aufheben. Weil eine Rückgewähr der Grundpfandrechte nicht erfolgte, die Klägerin insbesondere die bewilligte Löschung nicht veranlasste (vgl. § 875 BGB), war die Beklagte weiterhin Grundschuldgläubigerin. Die Parteien konnten sich daher ohne Weiteres darüber einigen, dass die Vollstreckung aus den bestehenden Titeln erneut möglich sein sollte. Von einer solchen Einigung ist in aller Regel auszugehen, wenn die Parteien – wie hier – vereinbaren, dass die Grundschuld wiederum eine Darlehensverbindlichkeit sichern soll.

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedurfte es keiner neuen notariellen Beurkundung. Die erforderlichen Titel waren vorhanden. Die Auswechslung der gesicherten Forderung berührt die Unterwerfungserklärung – anders als bei der Hypothek – nicht, weil diese auf die Grundschuld (und ggf. ein abstraktes Schuldversprechen), aber nicht auf den gesicherten Anspruch bezogen ist (BGH, Urt. v. 3.6.1997 – XI ZR 133/96, ZIP 1997, 1229 = DNotZ 1998, 575, 576, dazu EWiR 1997, 673 (Joswig); MünchKomm-Wolfsteiner, ZPO, 4. Aufl., § 794 Rz. 260; Gaberdiel/Gladenbeck, Kreditsicherung durch Grundschulden, 9. Aufl., Rz. 307). Nach der Interessenlage wollte die Klägerin sich gerade die Möglichkeit offenhalten, die Grundschulden – wie geschehen – erneut als Sicherungsmittel zu verwenden und auf diese Weise die mit einer erneuten Grundschuldbestellung verbundenen Kosten zu sparen. Eine solche formlose und daher kostengünstige Verwendung der Grundschuld als Sicherheit für andere als die anfänglich gesicherten Forderungen ist ein wesentlicher Grund für die verbreitete Verwendung von Grundschulden als Kreditsicherungsmittel (vgl. nur Epp, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 94 Rz. 23; Gaberdiel/Gladenbeck, a.a. O., Rz. 4 ff.).

c) Weil die Titel weiterhin bestanden, hat sich die Beklagte nicht, wie das Berufungsgericht meint, rechtsmissbräuchlich verhalten, indem sie neue vollstreckbare Ausfertigungen beantragte. Das erforderliche berechtigte Interesse an der Erteilung einer weiteren vollstreckbaren Ausfertigung (§ 733 ZPO) besteht auch dann, wenn der Gläubiger nach einer Neuvalutierung vollstrecken darf, die Erstausfertigung aber aufgrund der zuvor erfolgten Schuldtilgung bei dem Schuldner verblieben ist (vgl. MünchKomm-Wolfsteiner, a.a. O., § 733 Rz. 13).

2. Nicht geprüft hat das Berufungsgericht jedoch die weiteren Einwendungen der Klägerin, die den Eintritt der Verwertungsreife und die Verjährung der gesicherten Forderungen betreffen; insoweit fehlt es schon an Feststellungen. Dies wäre nachzuholen, falls die Klage nach ergänzendem Vortrag als zulässig anzusehen sein sollte, weil auch diese Einwendungen zu dem in der Revisionsinstanz angefallenen Streitstoff gehören.

a) Allerdings ist mit dem angefochtenen Urteil allein über eine „verlängerte“ Titelgegenklage entschieden worden. Diese stellt einen eigenen, von der Vollstreckungsabwehrklage zu unterscheidenden Streitgegenstand dar (dazu Senatsurt. v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, Rz. 6; BGH, Urt. v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164 = ZIP 1994, 67, dazu EWiR 1994, 205 (Herget), jew. m.w. N.). Wäre die prozessuale Einordnung des Klagebegehrens richtig, hätte das Berufungsgericht eine Entscheidung über die Vollstreckungsabwehrklage unterlassen; insoweit wäre die Rechtshängigkeit nach Ablauf der Frist für eine Urteilsergänzung (§ 321 ZPO) entfallen (vgl. Senatsurt. v. 21.3.1997 – V ZR 355/95, ZIP 1997, 931, dazu EWiR 1997, 639 (Tiedtke)).

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin aber (nur) eine Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO mit einem einheitlichen Streitgegenstand erhoben. Eine Titelgegenklage richtet sich gegen die Vollstreckbarkeit des Titels selbst, etwa weil dieser nicht der materiellen Rechtskraft fähig ist und daher einen nur scheinbar vollstreckungsfähigen Inhalt hat (dazu Senatsurt. v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, Rz. 7; BGHZ 124, 164 = ZIP 1994, 67). Solche Einwendungen hat die Klägerin nicht vorgetragen. Sie hat sich vielmehr auf eine vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung berufen, weil die Beklagte durch die Rückgabe der vollstreckbaren Ausfertigungen dauerhaft auf die Vollstreckung aus der Grundschuld verzichtet habe. Dies fällt ebenso wie materiellrechtliche Einwendungen gegen den Anspruch in den direkten Anwendungsbereich von § 767 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 26.6.2001 – XI ZR 330/00, NJW-RR 2002, 282, 283).