Kein Widerrufsrecht des Darlehensnehmers nach vollständiger Umschuldung des Darlehens

OLG Düsseldorf, Urteil v. 27.11.2014, I-6 U 135/14 (nicht rechtskräftig)
Leitsätze:
Wird der ursprüngliche Kreditvertrag nicht nur prolongiert oder erweitert, sondern vollständig durch einen nachfolgenden Vertrag ersetzt, können die gesetzlich gewollten Rechtsfolgen des wirksamen Widerrufs jedoch nicht (mehr) eintreten. Der Widerruf geht in Bezug auf das vertragliche Leistungsprogramm ins Leere, da primäre Leistungspflichten, die infolge des Widerrufs wegfallen könnten, nicht mehr existieren. (redaktioneller Leitsatz)

Gründe:
I. Die Parteien streiten über die Rechtfolgen des namens und in Vollmacht der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 13.2.2013 erklärten Widerrufs der Kreditverträge der Parteien vom 9.5.2006, 22.5.2007 und 10.2.2009. Das LG hat die Klage abgewiesen.

II. Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg. Die Kläger haben gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Zahlung von 41,26 € zzgl. Zinsen noch einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten i. H. v. 1.467,03 € (dazu unter 1). Die Feststellungsklage (dass der Beklagten Rückzahlungsansprüche aus den Kreditverträgen nicht zustehen) ist in Bezug auf die Darlehensverträge vom 9.5.2006 und vom 22.5.2007 bereits unzulässig (dazu unter 2) und in Bezug auf den Darlehensvertrag vom 10.2.2009 unbegründet (dazu unter 3).

1. Der von den Klägern mit Anwaltsschreiben vom 13.2.2013 erklärte Widerruf des Darlehensvertrags vom 10.2.2009 war gem. § 355 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 BGB in der zur Zeit des Vertragsschlusses geltenden Fassung (im Folgenden: BGB a.F.) nicht verfristet. Die Widerrufsbelehrung entsprach nicht den maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen, § 358 Abs. 5 BGB a.F., weil sie keinen Hinweis auf die Rechtsfolge nach § 358 Abs. 1 BGB a.F. enthält, also darauf, dass der Widerruf der auf den Abschluss eines Vertrags über die Lieferung einer Ware oder die Erbringung einer anderen Leistung durch den Unternehmer gerichteten Willenserklärung dazu führt, dass der Verbraucher auch an seine auf den Abschluss eines mit diesem Vertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden ist.

2. Da sich die Beklagte keiner Forderungen aus den Darlehensverträgen vom 9.5.2006 und 22.5.2007 berühmt hat, ist die diesbezügliche Feststellungsklage der Kläger schon unzulässig. Es fehlt an dem erforderlichen Feststellungsinteresse i. S. v. § 256 Abs. 1 ZPO.

3. In Bezug auf den Kreditvertrag vom 10.2.2009 ist die Feststellungsklage zulässig, aber unbegründet, § 256 Abs. 1 ZPO. Der Beklagten steht aus diesem Kreditvertrag eine den in dem Antrag zu 2) genannten Betrag von 13.689,09 € übersteigende Rückerstattungsforderung gegen die Kläger i. H. v. 15.005,05 € zu. Weiter gehende Rückabwicklungsansprüche der Kläger bestehen nicht. Denn der in dem Anwaltsschreiben vom 13.2.2013 erklärte Widerruf der Darlehensverträge vom 9.5.2006 und vom 22.5.2007 ging ins Leere, weil für einen Widerruf kein Raum mehr ist, wenn der Vertrag, um dessen Widerruf es geht, wegen seiner vollständigen Ersetzung durch einen neuen Darlehensvertrag bereits zum Wegfall gekommen ist. An seiner mit Beschluss vom 18.1.2012 (I-6 W 221/11, BKR 2012, 240) vertretenen Auffassung hält der Senat auch nach erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage fest. Der vorliegende Fall veranschaulicht die Richtigkeit dieser Auffassung, da die Annahme wirksamer Widerrufe zu einem Ergebnis führen würde, das auch unter Berücksichtigung des mit der Einräumung des Widerrufsrechts beabsichtigten Verbraucherschutzes nicht gewollt sein kann und für welches es auch an dem notwendigen Schutzbedürfnis fehlt.

a) Der Sache nach handelt es sich bei dem Widerrufsrecht um ein in seinen Wirkungen dem Rücktrittsrecht entsprechendes Gestaltungsrecht des Verbrauchers. Die Rechtsfolgen des wirksamen Widerrufs, § 357 BGB, sollen dazu dienen, dem Verbraucher ein umfassendes Lösungsrecht von dem Vertrag zu gewähren. Dementsprechend führt der wirksame Widerruf zum Wegfall der primären Leistungspflichten der Beteiligten und zu der mit ex-nunc-Wirkung (Hervorhebung des Gerichts) eintretenden Umwandlung des Verbrauchervertrags in ein Rückabwicklungsverhältnis (statt anderer MünchKomm-Masuch, BGB, 6. Aufl., 2012, § 355 Rz. 39 m.w. N.). Die widerrufliche Willenserklärung und der Vertrag sind also, anders als nach der früheren Rechtslage, die von einer schwebenden Unwirksamkeit des Vertrags ausging, zunächst gültig und lösen beiderseitige Erfüllungsansprüche aus. Erlischt das Widerrufsrecht, wird der Vertrag endgültig wirksam, wird das Widerrufsrecht ausgeübt, entfallen die vertraglichen Erfüllungsansprüche und treten die Erstattungsansprüche beider Parteien im Fall bereits erbrachter Leistungen an deren Stelle. Der wirksame Widerruf führt in Fallgestaltungen wie der vorliegenden zugleich dazu, dass der Verbraucher auch nicht mehr an den verbundenen Vertrag gebunden ist und der Darlehensgeber im Verhältnis zu dem Verbraucher hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufs in die Rechte und Pflichten des Unternehmers aus dem verbundenen Vertrag eintritt, wodurch der Verbraucher vor den Folgen einer Aufspaltung des Rückabwicklungsverhältnisses geschützt wird. Er ist nicht (mehr) zur Rückzahlung des zur Finanzierung des Drittgeschäfts aufgewandten Kreditbetrags an den Darlehensgeber verpflichtet, ohne diesem seine Ansprüche gegen den Unternehmer entgegenhalten zu können, § 358 BGB.

b) Wird der ursprüngliche Kreditvertrag nicht nur prolongiert oder erweitert, sondern vollständig durch einen nachfolgenden Vertrag ersetzt, können die gesetzlich gewollten Rechtsfolgen des wirksamen Widerrufs jedoch nicht (mehr) eintreten. Der Verbraucher benötigt schon kein Lösungsrecht von einem Vertrag, der gar nicht mehr existiert. Der Widerruf geht in Bezug auf das vertragliche Leistungsprogramm ins Leere, da primäre Leistungspflichten, die infolge des Widerrufs wegfallen könnten, nicht mehr existieren. Weder hat der Darlehensgeber die mit dem ursprünglichen Kreditvertrag gewährten Darlehensvaluta aufgrund der mit diesem Vertrag begründeten Verpflichtung aus § 488 Abs. 1 BGB zu belassen, noch hat der Darlehensnehmer ihm den darin (Hervorhebungen des Gerichts) vereinbarten Zins weiterhin zu zahlen. Die beiderseitigen Pflichten sind gerade im Fall der vollständigen Ersetzung des ursprünglichen Kreditvertrags durch einen neuen Kreditvertrag vielmehr vollständig erfüllt, da der alte Kredit bei der Umschuldung abgelöst wird. Der ursprüngliche Vertrag stellt nach seiner vollständigen Ersetzung lediglich noch die Rechtsgrundlage für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen der Parteien dar. Auch der verbundene Vertrag existiert nicht mehr, falls, was regelmäßig der Fall ist, aus Anlass des nachfolgenden Vertrags ein neuer Versicherungsvertrag abgeschlossen wird. Eine Aufspaltung des Rückabwicklungsverhältnisses, vor welcher der Verbraucher geschützt werden muss, kann mithin ebenfalls nicht eintreten.

c) Der mit Vertrag vom 9.5.2006 gewährte Kredit über einen Nettodarlehensbetrag von 17.540,23 € wurde, soweit er am 22.5.2007 noch valutierte, vereinbarungsgemäß mit Mitteln aus dem an diesem Tag geschlossenen Kreditvertrag abgelöst, d.h. die Pflicht der Kläger zur Rückzahlung des ersten Darlehens, § 488 Abs. 1 BGB, ist längst erfüllt gewesen, als die Parteien am 10.2.2009 den dritten Kreditvertrag schlossen, mit dessen Mitteln u.a. der aus dem Kreditvertrag vom 22.5.2007 noch offene Saldo ausgeglichen wurde. Nichts anderes gilt für die jeweils abgeschlossenen Restschuld- bzw. Ratenschutzversicherungsverträge. Versicherungsschutz bestand in dem beantragten Umfang für die mit Kreditvertrag vom 9.5.2006 begründeten Pflichten bis zum Abschluss des Kreditvertrags vom 22.5.2007, er endete lediglich nicht – wie vorgesehen – mit Zahlung der letzten Rate laut Zahlungsplan, sondern mit Ablösung des Darlehens. Entsprechendes gilt für den Versicherungsschutz bezüglich des Kreditvertrags vom 22.5.2007, der mit Abschluss des dritten Kreditvertrags am 10.2.2009 beendet wurde. Weder waren nach dem 10.2.2009 auf die beiden ursprünglichen Versicherungsverträge noch Prämien zu entrichten, noch bestand Versicherungsschutz für Forderungen aus den beiden Ursprungsdarlehen. Ein (fiktiver) Eintritt der Beklagten in ein Versicherungsvertragsverhältnis scheidet vor diesem Hintergrund aus. Eine Rückabwicklung der bereits erbrachten Leistungen ist, soweit möglich, im Übrigen jeweils bei Abschluss des Folgevertrags erfolgt. Einer (anteiligen) Erstattung des zum Zeitpunkt der jeweiligen Umschuldungen noch nicht verbrauchten Teils der Prämien für die Restschuldversicherungen vom 9.5.2006 und vom 22.5.2007 bedarf es nicht mehr, da den Klägern unstreitig anlässlich des Abschlusses des jeweiligen Folgevertrags entsprechende Beträge erstattet worden sind.

Dem Gesetz ist im Übrigen das Erlöschen des Widerrufsrechts nach vollständiger Leistungserbringung auch keineswegs fremd, wie beispielsweise die Regelung in § 312d Abs. 3 BGB zeigt.

Schließlich würde die Anerkennung eines Widerrufsrechts bei nicht mehr existenten Verträgen zu kaum gewollten Ergebnissen führen, wie der vorliegende Fall zeigt. Das mit Kreditvertrag vom 10.2.2009 gewährte Darlehen valutierte per 15.2.2013 noch i. H. v. 28.694,14 €. Über den Widerruf ihrer auf den Abschluss der vorangegangenen Kreditverträge gerichteten Willenserklärungen würden die Kläger eine vollständige Befreiung von dieser unstreitig bestehenden Verbindlichkeit erreichen, obgleich Erfüllungsansprüche, an deren Stelle die beiderseitigen Erstattungsansprüche treten könnten, nicht mehr existieren.